Abstract:„Mordswut: Die unheimliche Eskalation der Jugendgewalt“ titelt der Spiegel über die „Kinder der Finsternis“. Die Sat.1-Nachrichten zeigen das Video einer beinahe tödlichen Schlägerei und fragen: „Wer stoppt die Gewaltexzesse unter jungen Menschen?“ Wie typisch sind solche Schlagzeilen – neigen die Medien dazu, Gewalt insbesondere junger Tatverdächtiger zu dramatisieren?
Der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Hestermann analysiert seit zehn Jahren die Fernsehberichterstattung über Gewaltkriminalität. Er zeigt die Muster, nach denen die Klischees von Gewalt entstehen. Mit Kriminalstatistiken hat die Medienwirklichkeit wenig zu tun.
Berichtet wird vor allem tödliche und sexuelle Gewalt, die von Jugendlichen seltener als von Erwachsenen begangen wird. Während Tatverdächtige eher im Schatten der Wahrnehmung bleiben, stehen Opfer im Mittelpunkt journalistischer Auswahlentscheidungen, vor allem kindliche und weibliche Opfer.
Dabei stellt sich in der digitalen Gesellschaft die Frage nach medialer Verantwortung anders als bisher. Längst haben die klassischen Medien und der professionelle Journalismus an Wirkungsmacht eingebüßt. Broadcast yourself ist das Motto. Durch Handyvideos, die Täter und Täterinnen selbst über soziale Netze verbreiten, wird die Entwürdigung der Opfer grenzenlos. Zu beobachten ist damit eine neue Mediatisierung der Gewalt.
Vita:Dr. Thomas Hestermann
Professor für Journalistik an der Hochschule Macromedia, University of Applied Sciences, Gertrudenstraße 3, D-20095 Hamburg.
Mail t.hestermann@macromedia.de
Fernsehjournalist und Medienwissenschaftler. Studium der Politik, Sozialpsychologie und Soziologie an der Leibniz-Universität Hannover, Promotion in Medienwissenschaften an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Tätigkeit in der Medienforschung, Analyse der TV-Gewaltberichterstattung. Entwicklung diverser Medienformate. Von 1999 bis 2005 sowie 2009 bis 2014 Redaktionsleiter der Fernsehdebattenreihe Tacheles (Phoenix).
Veröffentlichungen (Auswahl)
Hestermann, T. (geplant). Jugendkriminalität in den Medien: Opfer, Dämonen und die Mediatisierung der Gewalt, in Dollinger, B. & Schmidt-Semisch, H. (Hrsg.): Handbuch Jugendkriminalität, 3., vollständig überarbeitete Auflage, Wiesbaden: Springer VS.
Hestermann, T. (2016). Verzerrungen in der Kriminalitätsberichterstattung, Kriminalistik 70 (12), S. 731-738.
Hestermann, T. (2012) (Hrsg.). Von Lichtgestalten und Dunkelmännern: Wie die Medien über Gewalt berichten, Wiesbaden: Springer VS.
Hestermann, T. (2010). Fernsehgewalt und die Einschaltquote: Welches Publikumsbild Fernsehschaffende leitet, wenn sie über Gewaltkriminalität berichten. Baden-Baden: Nomos.