Der 4. Deutsche Präventionstag fand vom 25. bis 27. November 1998 erneut im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn statt. Das Kongressthema lautete „Gesamtgesellschaftliche Kriminalprävention“.
25 Jahre Deutscher Präventionstag
Ein Beitrag von Sigrid Maierknapp-Herbst
Präventionspolitikerin; ehemalige Präsidentin der Klosterkammer Hannover und Vorsitzende des Landespräventionsrates Niedersachsen (LPR)
Im März 1995 beschloss das niedersächsische Landeskabinett die Gründung des Niedersächsischen Landespräventionsrates. Die erklärten Ziele waren „zum einen das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern und zum anderen das Kriminalitätsaufkommen zu verringern“. In der konstituierenden Sitzung unter Federführung des Innenministeriums wurde ich zur (ehrenamtlichen) Vorsitzenden gewählt.
Es folgten Jahre mit intensiven, zum Teil auch heftigen Auseinandersetzungen mit und zu den vielfältigen Fragen und Themen der Prävention. Mit jeder Vorstandssitzung, mit jeder Vollversammlung, mit jeder Kommission, mit jedem Projekt und mit jeder öffentlichen Veranstaltung habe ich, haben wir neue Erkenntnisse gewonnen, unseren Blick in die Zukunft geschärft und um angemessene Antworten auf die erkannten Gefährdungen und Herausforderungen gerungen. Oft führten die Antworten und Erkenntnisse aus den Veranstaltungen und Projekten zu neuen, nicht weniger brennenden und aufregenden Fragen und anschließenden Projekten, um Antworten und Lösungen zu finden.
Ein wichtiger Lern-Ort für Prävention war der jährlich stattfindende Deutsche Präventionstag. Die dort verhandelten vielfältigen Themen, die vorgestellten Ergebnisse aus den verschiedenen Forschungen und Forschungsbereichen, die Erfahrungen aus anderen Ländern und Kontinenten und schließlich die Vielfalt der persönlichen Begegnungen waren jeweils eine große Bereicherung, Ansporn und Anregung für unsere Arbeit auf Landesebene.
Der Anlass für die Gründung des Landespräventionsrates waren die zunehmende Jugendkriminalität Anfang der 90ger Jahre und die entsprechenden Forschungsergebnisse des Kriminologischen Forschungsinstitutes sowie der politische Wille, präventiv und proaktiv tätig zu werden. Wir haben aber sehr schnell erkannt, dass diese Verengung nicht zielführend war.
Und von Anfang an war klar, dass nichts mehr so weitergehen konnte, wie es einmal war, dass es auf die anstehenden Herausforderungen – vor allem Arbeitslosigkeit, aber auch Zuwanderung aus ganz unterschiedlichen Kulturen und mit sehr unterschiedlichen Beweggründen – keine fertigen und einfachen Antworten (mehr) gibt – weder für den Einzelnen noch für die Gesellschaft noch für die Politik. Angesichts dieser Entwicklung und auf Grund der Erfahrung, dass sowohl die Systeme als auch die zu lösenden Probleme nicht nur globaler, sondern auch komplexer wurden, haben wir Kriminalprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden, als Haltung im täglichen Umgang der Menschen miteinander und als gemeinsame Verantwortung von Politik und Verwaltung, von Justiz und Polizei, von Jugendhilfe, Schule und Sport. Wir sahen die Notwendigkeit, Rahmenbedingungen und Strukturen und Verhaltensweisen zu entwickeln, die uns „verpflichten“, zu argumentieren und zuzuhören, statt mit Steinen zu schmeißen, die uns „verpflichten“, ruhig und offen neue Wege zu gehen und Konsense zu suchen, statt uns hinter Vorurteilen zu verschanzen, die uns „verpflichten“, nicht in Repressionen auszuweichen, wo Hilfe notwendig ist. Damit haben wir Prävention sehr weit gefasst und als gemeinsame Aufgabe der Zivilgesellschaft definiert. Wir verstanden sie als eine Aufgabe, die nicht an irgendwen oder irgendeine Institution delegiert werden kann, für die nicht die Politik, nicht Vater Staat oder Mutter Stadt ausschließlich zuständig sind, sondern die uns alle und jeden einzelnen angeht. Prävention bedeutete für uns, mit wachen Augen, kühlem Kopf, klarem Verstand und heißem Herzen die Gegenwart sehen und verstehen zu wollen. Prävention bedeutete für uns, Visionen für die Zukunft zu entwickeln, Leben und Alltag in der Gegenwart zu gestalten, Verantwortung zu übernehmen und damit Not, Sucht und jede Form von Gewalt, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit zu verhindern, Vorurteile und Intoleranz abzubauen und der Angst zu begegnen.
Angefangen haben wir mit der Auseinandersetzung um Wirtschaftskriminalität. In diesem Zusammenhang haben wir auch die Frage gestellt, wer ist eigentlich sozial schwach? Jener der seine Erträge neben den zulässigen und verabredeten Wegen generiert, der sein Geld schwärzt und ins Ausland transferiert, der seine Steuern trickreich reduziert und damit (zu) wenig zum Aufbau und zur Erhaltung der allgemeinen Infrastruktur beiträgt? Oder der, der keine Arbeit hat, oder nicht arbeiten kann, der seine Wohnung nicht bezahlen kann, der seinen Kindern keine Chancen, keine Hilfe und keine Unterstützung geben kann, der keine Kraft hat, sein Leben zu leben? Die Diskriminierung von Menschen, die unterprivilegiert und in prekären Verhältnissen leben, als „sozial schwach“ hielten wir jedenfalls – und halte ich noch immer – für falsch.
Wir haben die Sicherheit in der Stadt, auf öffentlichen Plätzen und in Wohnanlagen analysiert und diskutiert und erörtert, weil wir davon ausgingen, dass Menschen sich nur dort beheimaten und wohlfühlen können, wo sie sich sicher fühlen – nicht nur in der Familie, in der ich angenommen bin, in der Nachbarschaft, wo ich so leben darf, wie ich will und den Nachbarn so leben lassen kann wie er will, sondern auch als Sicherheit in der Stadt, in der ich der ich gerne unterwegs bin.
Die sichere Stadt, haben wir definiert, ist nicht die total gesicherte und rund um die Uhr bewachte Stadt, sondern die lebendige Mischung von Öffentlichem und Privatem, von sehen und gesehen werden, von Neugier und Verantwortung. Es ist die gepflegte Stadt, die phantasie- und liebevoll gestaltete und damit unverwechselbare Stadt, also eine Stadt, in der man sich zuhause und wohlfühlen kann, auf die man gerne achtet und in der Zerstörung sich verbietet. Zu einer und in eine sichere Stadt gehören eindeutige Spielregeln, eine verlässliche öffentliche Ordnung und Raum für Arme und Reiche, für Alte und Junge, für Einheimische und Zugewanderte.
Wir haben uns intensiv mit der Gewalt von Jugendlichen beschäftigt – von Einheimischen und Zugewanderten. In einer Kommission, auf Tagungen und in Arbeitskreisen sind wir den Ursachen nachgegangen und auch der Frage, was brauchen Kinder und Jugendliche, um zu friedensfähigen und gewaltfreien Menschen heranzuwachsen, und wie können Kinder und Jugendliche lernen, dass Gesetze allgemeingültig sind, dass ihre Einhaltung nicht in die Beliebigkeit des Einzelnen gestellt ist, auch wenn sie im Kleinen wie im Großen anderes erleben, anderes vorgelebt kriegen? Wir fragten: Wie sollen sie Normen und Werte, wie Respekt und Toleranz, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit leben lernen, wenn sie diese selbst nie erfahren? Wie sollen sie lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, Interessen und Wünsche angemessen durchzusetzen, wenn sie Gewalt erleben und keiner ihnen sagt, was angemessen ist, wie es ohne Gewalt geht?
Wir haben über Schule nachgedacht und Visionen entwickelt, wie sie sein könnte und müsste, damit Kinder und Jugendliche sich darin willkommen und wohlfühlen, was sie bräuchten, um gerne lernen und ihre Stärken entwickeln zu können. Anlässe für die Auseinandersetzung waren auch der Amoklauf in der Schule in Erfurt und ein Ergebnis der PISA-Studie, nämlich die Wahrnehmung der Schülerinnen „Willkommen bin ich nicht – wichtig bin ich nicht“. Jeder zweite Schüler, jede zweite Schülerin äußerte das Gefühl, dass die Eltern, die Lehrer:innen sich nicht dafür interessieren, was das Kind / der Jugendliche denkt und fühlt, was er kann und will und wo er Hilfe benötigt und wünscht. Andererseits hat die damalige Shell-Studie ergeben, dass die befragten Jugendlichen überwiegend positiv gestimmt sind und optimistisch in die Zukunft schauen. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen der Jugendlichen und die wahrgenommen unterschiedlichen Lebenschancen haben unsere Diskussionen und Überlegungen geprägt.
Denn: wer nicht willkommen ist, kann nicht willkommen heißen. Wer nicht gesehen, nicht wahrgenommen, nicht wertgeschätzt wird, kann sein Gegenüber, den Mitmenschen nicht sehen, wahrnehmen und nicht wertschätzen. Und wer nicht verwurzelt ist, kann nicht lernen und auch nicht seinen Weg und seinen Platz im Leben und in der Gesellschaft finden. Das heißt, Schule sollte immer mehr sein als ein Ort der Wissensvermittlung!
Wir haben uns im Rahmen eines großen Symposiums mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auseinandergesetzt und wichtige Impulse gesetzt für die Gesetzgebung, aber auch für Beratungs- und Hilfsangebote für misshandelte und bedrohte Frauen. Eng mit diesem Thema verbunden war immer ein offener und genauer Blick auf das Aufwachsen und die Entwicklung von Jungen und jungen Männern. Mit welchem Bild für einen Mann wachsen sie auf? Wer lehrt sie, mit ihrem Körper, ihren Wünschen, ihrer Kraft umzugehen? An wem können sie sich orientieren und wie können sie ihre je eigene Identität entwickeln und damit Sicherheit gewinnen? Und immer galt unsere Aufmerksamkeit auch den Opfern.
Ich habe Prävention immer als vorausschauendes Handeln verstanden. Ich habe Prävention immer verstanden als Sorge dafür, dass die Menschen, dass Alte und Junge, Kinder und Erwachsene sich wohl fühlen – in ihrer Haut, in ihrer Umgebung, in unserer Gesellschaft und in unserem Land. Das heißt, Prävention ist Empowerment, Stärkung und Aktivierung individueller und gesellschaftlicher Ressourcen und Kräfte zur Verbesserung der Lebensbedingungen und Lebenschancen. Es war mir wichtig, dass Angst nicht überhandnimmt – die Angst, nicht angenommen zu werden, keinen Platz zu finden, keine Zukunft zu haben, die Angst, unwichtig für andere zu sein. „Angst frisst Seele auf“ und löst Gewalt aus, Angst bereitet den Boden für Gefühle der Unsicherheit und des Ausgeliefertseins, Angst gefährdet den inneren Frieden, der ohnehin z. Z. auf wackligen Beinen steht, weil die Chancen erkennbar ungleich verteilt sind zwischen Alt und Jung, Zugereisten und Einheimischen, weil Populisten die Sehnsucht nach einfachen Antworten (scheinbar) befriedigen und weil uns nicht zuletzt ein bisher unbekanntes, gefährliches und unsichtbares Virus bedroht. Und Angst macht empfänglich für Verschwörungstheorien und Populismus.
So war der Gedanke der Prävention in allen meinen beruflichen Stationen Teil meiner Arbeit. Immer ging es neben dem Tagesgeschäft auch darum, aktuelle Ereignisse und Entwicklungen zu analysieren und daraus entstehende Risiken zu erkennen, Ressourcen zur Bewältigung von Krisen aufzubauen und für die Entspannung von Konflikten zu nutzen und eine Vision für die Zukunft zu entwickeln.
Als Referentin in einer Landtagsfraktion war es unter anderem meine Aufgabe in den Bereichen Schule und Hochschule, Migration und Integration, Datenschutz und Kultur, aktuelle Probleme und Fragestellungen wahrzunehmen, zu analysieren und mögliche Strategien zur Bewältigung in der Gegenwart und Verhinderung in der Zukunft zu erarbeiten. Meine Aufgabe war dafür erforderliches Material und notwendige Informationen zu sammeln, auf deren Basis die Abgeordneten und Politiker:innen eine sach- und fachgerechte Entscheidung würden fällen können. Die Herausforderung dabei war und ist, dass Prävention heißt, in langen Linien zu denken, zu entscheiden und zu handeln – dass aber langfristige Maßnahmen sich nur selten in Wählerstimmen für die kommende Wahlperiode auszahlen.
Als Dezernentin für Jugend und Soziales war ich nicht nur verantwortlich, die aktuelle Not der Kinder und Jugendlichen und der Hilfeempfänger:innen zu lindern und die dafür geeigneten Hilfen sicherzustellen und die dafür aufgewandten Mittel zu verantworten. Ich war auch verantwortlich dafür, Strukturen und Hilfen zu entwickeln und zu schaffen, die die Not möglichst verhindern und die die Menschen befähigen, sich selbst zu helfen. Auch hier war die Voraussetzung, die Probleme und Konflikte der Gegenwart zu erkennen und wahrzunehmen, die zukünftigen Belastungen möglichst genau einzuschätzen und mit all diesen Erkenntnissen Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, um Schaden möglichst abzuwenden oder wenigstens zu reduzieren.
Dafür haben wir die Zusammenarbeit der verschiedenen „Player“ auf kommunaler Ebene ausgebaut und entsprechende Strukturen entwickelt. Wir haben einen kommunalen Präventionsrat gegründet, Stadtteilkonferenzen durchgeführt und niedrigschwellige, stadtteil-orientierte Hilfen entwickelt, wir haben ermutigt und unterstützt und wertgeschätzt – die Menschen, die der Hilfe bedurften, die Kolleg:innen der verschiedensten Professionen und die Ehrenamtlichen.
Sozial- und Jugendhilfe sind gesetzliche Aufgaben und Ausgaben. Die hohen Ausgaben in diesem Bereich sind auch Investitionen für unsere Gesellschaft. Sie vermeiden – sofern klug und Not-wendig eingesetzt – Kosten in der Zukunft. Im Übrigen haben diese Mittel eine hohe Umwegrentabilität: jeder Euro, der in diesem Bereich ausgegeben wird, geht in den wirtschaftlichen Kreislauf – für Miete, Nahrung und Kleidung, für Bildung und Ausbildung, für Gehälter der Mitarbeiter:innen, die damit ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familien bestreiten und die Steuern und Sozialbeiträge bezahlen.
Als Verantwortliche für eine große und traditionsreiche Stiftung war ich verantwortlich dafür, den Stiftungszweck – die Förderung von Bildung, Wohlfahrt und geistlicher Auseinandersetzung mit und in der Welt – langfristig, verlässlich und umfassend zu erfüllen. Dafür mussten wir – und wollte ich – die inhaltliche Arbeit der Stiftung auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und Bedürfnisse ausrichten – was eben auch heißt, diese zu erkennen und sich auf sie einzulassen, Perspektiven, neue Antworten und leistungsfähige Strukturen zu entwickeln und manches Vertraute aufzugeben. Die Herausforderung bei der Erstellung der Eröffnungsbilanz war deshalb u.a., die aktuellen Anforderungen zu definieren und sie in die Zukunft fortzuschreiben, Risiken zu erkennen und entsprechende Rücklagen einzustellen, damit das Stiftungsvermögen erhalten und gesichert bleibt und mit den Erträgen daraus der Auftrag der Stiftung erfüllt werden kann.
Vor 10 Jahren habe ich nach 15 Jahren den Vorsitz des Landespräventionsrates abgegeben. Es war eine gute Zeit mit vielen Herausforderungen und sehr unterschiedlichen Themen. Wir haben immer wieder unsere innere Struktur und Arbeitsweise überprüft und an veränderte Anforderungen angepasst. Wir haben die Zusammenarbeit der Geschäftsstelle mit dem Rat, in dem die Ministerien des Innern und der Justiz, sowie das Kultus- und das Sozialministerium, die Polizei, verschiedene Verbände und Institutionen auf Landesebene und vor allem auch die Kommunen vertreten waren, und mit mir als ehrenamtlicher Vorsitzenden intensiviert und professionalisiert.
In dieser Zeit ist die Geschäftsstelle mehrfach umgezogen, weil sie parallel zu den Themen und Aufgaben gewachsen ist und weil die Zuständigkeit vom Innenministerium zum Justizministerium verlagert wurde. Dabei habe ich es in all den Jahren als sehr positiv und vorteilhaft erlebt, dass dieser Landespräventionsrat nicht in die Hierarchie eines Ministeriums eingebunden, sondern nur zugeordnet war. Dadurch mussten wir nicht auf tagespolitische Überlegungen Rücksicht nehmen, hatten eine große Freiheit in der Wahl und Art der Bearbeitung der Themen und konnten mit allen verantwortlichen Partner:innen in den verschiedenen Stellen der Landesverwaltung ohne Umwege kooperieren. Dabei war in all den Jahren der Kontakt und die Rückkopplung zur Hausspitze immer konstruktiv und vertrauensvoll.
Seither hat sich Vieles geändert, verändert und weiterentwickelt. Neue Fragen, Probleme und Aufgaben sind dazugekommen, neue Erkenntnisse sind gewonnen, die Analysen sind genauer und die Maßnahmen komplexer, aber auch passgenauer geworden. Mir scheint auch, dass die Erkenntnis zugenommen hat, dass Prävention notwendig ist, dass es Sinn macht zu handeln „bevor die Hütte brennt“ und auch die Erkenntnis, dass sich Prävention nicht nur gesellschaftlich, sondern auch finanziell rechnet, wenngleich nicht sofort.
In die Zukunft denken, über die Wahlperiode hinaus handeln und die erforderlichen Mittel und Ressourcen zur Verfügung stellen, ist dennoch noch immer nicht einfach. Wir haben es gerade im Laufe der aktuellen Pandemie erlebt und leidvoll erfahren, wie schwer es fällt, vorauszudenken, wie wenig die Politik und die Verwaltungen, wie wenig auch die Bürger:innen auf die Möglichkeit einer Pandemie, auf diese Krise vorbereitet waren, wie wenig wir vorgesorgt haben – obwohl wir viel gewusst haben, fast alles hätten wissen können.
Prävention heißt in die Zukunft denken und vorsorglich und vorausschauend handeln. Prävention ist eine Haltung, die abhängig ist von unserem Menschenbild, von unserem Weltbild, von unserem Demokratieverständnis ist und abhängig davon auf welches Wissen, auf welche Erkenntnisse wir uns einlassen – einlassen wollen und einlassen können. Prävention ist eine Herausforderung und sie ist nicht einfach. Und immer muss Prävention die empfindliche Balance von Freiheit und Sicherheit austarieren.
Aber Prävention ist nicht nur nötig, sondern auch möglich und erfolgreich, wenn wir bereit sind zu forschen, Expertise und Fachlichkeit zu respektieren, die Erkenntnisse klar zu benennen, zu veröffentlichen und den öffentlichen Diskurs dazu zu führen. Dafür müssen wir (wieder) lernen, respektvoll und wertschätzend zu diskutieren, zu streiten und zu ringen um das, was wahr und wahrhaftig, was schön und wertvoll, was richtig und was falsch ist. Und: wir sollten uns nicht scheuen, Fehler zu benennen und aus den gemachten Fehlern zu lernen. Und weil Prävention handeln in und für die Zukunft bedeutet, müssen wir gemeinsam klären, wie diese Zukunft aussehen soll und welche Visionen wir haben und verwirklichen wollen.
Prävention lebt von der Vielfalt, von interkultureller Kompetenz, von dem Respekt vor dem Gegenüber, vor der jeweiligen Fachlichkeit, lebt von der Eigen- und Anderheit von Frauen und Männern, von Einheimischen und Zugewanderten, von Glaubenden und Ungläubigen. Und Prävention setzt voraus, dass wir bereit sind, Schwerpunkte zu setzen, Kompromisse zu machen, Mehrheiten zu akzeptieren und Minderheiten zu schützen.
Das Motto des diesjährigen ökumenischen Kirchentages fasst das alles wunderbar zusammen:
Genau hinschauen – entschieden durchblicken – mutig losgehen