08.05.2022

Krisen, Kriege und Gewalt bedrohen Pressefreiheit

Rangliste der Pressefreiheit 2022

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Neue Krisen und Kriege sowie wiederaufgeflammte Konflikte gefährden die weltweite Pressefreiheit und brachten Journalistinnen und Journalisten seit Anfang 2021 in vielen Ländern der Welt in Gefahr. Die Rangliste der Pressefreiheit 2022 von Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt, dass von gewalttätigen Konflikten nicht nur Gefahr für Leib und Leben von Medienschaffenden ausgeht – sie wurden auch von vielfältigen Repressionen begleitet, mit denen Regierungen die Informationshoheit zu gewinnen versuchen. Die Rangliste der Pressefreiheit vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. In ihrer 20. Ausgabe erscheint die Rangliste einmalig zum Welttag der Pressefreiheit, dem 3. Mai 2022, und basiert zudem auf einer neuen Methodik, die den veränderten Medienrealitäten Rechnung trägt.

„Morde und Entführungen, Verhaftungen und körperliche Angriffe sind bloß unterschiedliche Ausprägungen desselben Problems: Regierungen, Interessengruppen und Einzelpersonen wollen Medienschaffende mit Gewalt daran hindern, unabhängig zu berichten. Dieses Phänomen beobachten wir in allen Teilen der Welt, ob in Russland, Myanmar oder Afghanistan – oder selbst in Deutschland, wo die Aggressivität gegenüber Journalistinnen und Journalisten auf ein Rekordhoch gestiegen ist“, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske.

Deutschland: So viel Gewalt gegen Medienschaffende wie noch nie

Die Lage in Deutschland (Rang 16 von 180) hat sich 2021 um drei Plätze (Vorjahr: Rang 13) leicht verschlechtert. Für diese Entwicklung sind drei Gründe zentral: eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen.

Die Zahl der gewaltsamen Angriffe lag mit 80 von RSF verifizierten Fällen so hoch wie noch nie seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2013. Bereits im Vorjahr war mit 65 Fällen ein Negativrekord erreicht worden. Die meisten der Angriffe (52 von 80) ereigneten sich bei Protesten des „Querdenken”-Spektrums gegen Corona-Maßnahmen, an denen regelmäßig gewaltbereite Neonazis und extrem rechte Gruppen teilnahmen. Medienschaffende wurden bespuckt, getreten, bewusstlos geschlagen. Betroffene klagten häufig über mangelnde Unterstützung durch die Polizei. Zudem wurden 12 Angriffe der Polizei auf die Presse dokumentiert.

Hinzu kommen eine hohe Dunkelziffer sowie eine Vielzahl nicht einzeln erfasster Fälle, in denen Journalistinnen und Journalisten beleidigt, bedrängt oder bedroht wurden. Vielfach wurden sie an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert oder ihre Ausrüstung wurde beschädigt. Neu waren 2021 akustische Angriffe mit Fußballfanfaren. Auch jenseits von Versammlungen wurden Medienschaffende 2021 attackiert: zu Hause, im Gerichtssaal, in Fußballstadien.

Auf der Ebene der Gesetzgebung kritisierte RSF den mangelnden Schutz von Journalistinnen und Journalisten sowie ihrer Quellen bei der Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung, da diese eine Ausweitung der Befugnisse für Sicherheitsbehörden vorsieht, ebenso wie die Reform des BND-Gesetzes und den sogenannten Staatstrojaner. 2021 wurde zudem bekannt, dass Deutschland die Spyware Pegasus nutzt. Das Defizit beim Auskunftsrecht von Medien gegenüber Bundesbehörden blieb 2021 weiter bestehen. Auch Klagen gegen kritische Recherchen und Sexismus im Journalismus stellten im vergangenen Jahr weiterhin ein Problem dar.

Sorge bereiten RSF die weiter abnehmende Pressevielfalt bei den Tageszeitungen. Wie in vielen anderen Ländern haben sich wirtschaftliche Probleme der Medien durch die Corona-Krise verstärkt. Nur zwei Länder weltweit (Norwegen und Schweden) zeigten im neu geschaffenen Indikator „wirtschaftliche Rahmenbedingungen“ eine „gute Lage“; in Deutschland war sie (wie auch die Gesamtsituation) „zufriedenstellend“.

Krisen, Kriege und Gewalt bestimmen weltweit die Lage der Pressefreiheit

Krisen, Kriege und Gewalt bestimmten die Lage der weltweiten Pressefreiheit seit Anfang 2021. Nach dem Militärputsch in Myanmar (Rang 176) und der Rückeroberung Afghanistans (156) durch die Taliban ist unabhängiger Journalismus in beiden Ländern kaum noch möglich. Russland (155) hat nach dem Überfall auf die Ukraine die Pressefreiheit im eigenen Land de facto abgeschafft, in der Ukraine (106) starben durch die Kriegshandlungen innerhalb weniger Wochen sieben Medienschaffende.

Gleich viele waren es nur in Mexiko (127) – das nordamerikanische Land ist schon seit Jahren eins der tödlichsten der Welt für Journalistinnen und Journalisten, doch die Mordserie seit Anfang des Jahres ist auch für mexikanische Verhältnisse erschütternd. Auch im Verlauf des Israel-Gaza-Konflikts wurden in den Palästinensischen Gebieten (170) Journalisten getötet und verletzt, ebenso im Jemen (169). In der Sahelzone haben Medienschaffende unter Unsicherheit und politischer Instabilität zu leiden, so in Burkina Faso (41) und Mali (111).

In Europa erschütterten die Morde an zwei Polizeireportern in den Niederlanden (28) und Griechenland (108) die Öffentlichkeit. Gewalttätige Demonstrierende griffen in großer Zahl Journalistinnen und Journalisten vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich (31), Frankreich (26) und Italien (58) an.

In anderen Ländern waren vor allem willkürliche Inhaftierungen das gewählte Mittel zur Unterdrückung kritischer Stimmen. Ende 2021 zählte RSF so viele inhaftierte Journalistinnen und Journalisten wie noch nie. In Hongkong (148), einst eine Bastion der Pressefreiheit in Ostasien, wird Chinas (175) Modell der Informationskontrolle unbarmherzig umgesetzt, werden Redaktionen geschlossen und Medienschaffende verhaftet. In Belarus (153) setzte sich 2021 die Verhaftungswelle fort, die nach der manipulierten Präsidentenwahl vom August 2020 begonnen hatte, und auch im Iran (178) häuften sich die Verhaftungen.

Spitzenreiter und Schlusslichter: Skandinavien vorn, totalitäre Regime ganz hinten

Wie in den vergangenen Jahren machen die skandinavischen Länder die Spitzenplätze unter sich aus: Zum sechsten Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1, unter anderem aufgrund eines großen Medienpluralismus, großer Unabhängigkeit der Medien von der Politik, starker Informationsfreiheitsgesetze und eines trotz gelegentlicher Online-Attacken journalistenfreundlichen Klimas. Es folgen Dänemark (2) und Schweden (3) mit ähnlich guten Voraussetzungen für journalistische Berichterstattung. Mit Estland (4) ist erstmals eine ehemalige Sowjetrepublik unter den Top 5. Anders als in anderen Ländern verzichten Politikerinnen und Politiker dort weitgehend auf Attacken auf Medienschaffende, was kritische Berichterstattung erleichtert. Auf zunehmende Online-Hetze haben Medienhäuser mit Schutzmaßnahmen für ihre Beschäftigten reagiert. Finnland folgt auf Platz 5.

Im hintersten Teil der Tabelle befindet sich nach wie vor China (175) – unter anderem aufgrund nahezu allumfassender Internetzensur und Überwachung sowie Propaganda im In- und Ausland. Nach dem Militärputsch vom Februar 2021 machte die Junta in Myanmar (176) unabhängigen Journalismus quasi unmöglich – das Land rutscht dramatisch auf der Rangliste ab und befindet sich nun unter den fünf am schlechtesten bewerteten Ländern. In Iran (178) beobachtet RSF seit dem vergangenen Jahr eine Zunahme von willkürlichen Verhaftungen und Verurteilungen. Drei totalitäre Regime, die seit Jahren die letzten drei Plätze unter sich ausmachten, bilden den Rest der Schlussgruppe: Turkmenistan (177), Eritrea (179) und Nordkorea (180). Alle drei haben gemeinsam, dass die jeweilige Regierung die komplette Kontrolle über alle Informationsflüsse hält; Raum für Verbesserungen der Pressefreiheit scheint es unter den aktuellen Regimen nicht zu geben.

Osteuropa und Zentralasien: Während des Ukraine-Kriegs ist auch die Pressefreiheit unter Beschuss

Seit dem groß angelegten Angriff auf die Ukraine existiert in Russland (155) praktisch keine Pressefreiheit mehr. Bereits vor Beginn der Invasion am 24. Februar 2022 hatte der Kreml den Druck auf unabhängige Medienschaffende massiv erhöht: Mehr als einhundert Journalistinnen und Journalisten sowie ganze Redaktionen waren 2021 zu sogenannten „ausländischen Agenten“ erklärt worden, viele stellten ihre Arbeit deswegen ein. Ende Februar 2022 verbot die russische Medienaufsichtsbehörde Wörter wie „Krieg“, „Angriff“ und „Invasion“ in der Berichterstattung über die Ukraine, wenig später drohte ein neues Gesetz mit Haftstrafen von bis zu 15 Jahren für angebliche Falschinformationen über die russische Armee. Der kremlkritische Sender Doschd und Radio Echo Moskwy stellten daraufhin ihre Arbeit ein, hunderte unabhängiger Journalistinnen und Journalisten verließen das Land. Am 28. März 2022 stellte auch die Zeitung Nowaja Gaseta unter Chefredakteur und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow den Redaktionsbetrieb ein. Ausländische Netzwerke wie Twitter, Facebook und Instagram sind in Russland blockiert.

Auch in der Ukraine (106) verschlechterte sich die Lage seit dem russischen Angriff erheblich. Mindestens sieben Medienschaffende wurden in den ersten zwei Monaten der Kämpfe während ihrer Arbeit getötet. Russische Truppen griffen gezielt Medienteams an und bombardierten Fernsehtürme in mehreren Städten. Mehrmals wurden Medienschaffende entführt oder ihre Familienangehörigen unter Druck gesetzt, um sie zum Schweigen zu bringen. Am 20. März legte Präsident Wolodymyr Selenskyj die landesweiten Fernsehsender per Dekret zusammen, um eine einheitliche Informationspolitik verfolgen zu können.

Der Kreml zwingt sein Narrativ über den Krieg auch einigen seiner Nachbarländer auf, insbesondere Belarus (153). Dort verfolgt der Diktator Alexander Lukaschenko seit seiner „Wiederwahl“ im August 2020 unabhängige Journalistinnen und Journalisten weiterhin mit großer Härte. Mehr als 20 Medienschaffende sitzen im Gefängnis. Am 23. Mai 2021 ließ Lukaschenko ein Flugzeug nach Minsk umleiten, um einen oppositionellen Exil-Journalisten verhaften zu lassen. Immer mehr belarussische Medien werden als extremistisch eingestuft. Wer Inhalte dieser Medien teilt oder auch nur liest, kann strafrechtlich verfolgt werden.

In Zentralasien herrscht nach wie vor lediglich in Kirgistan (72) ein gewisses Maß an Pressefreiheit und Medienpluralismus, während das seit Jahrzehnten diktatorisch regierte Turkmenistan (177) weiterhin zu den Schlusslichtern auf der Rangliste gehört. Im Südkaukasus ist die Situation in Aserbaidschan (154) am schwierigsten, wo Präsident Ilcham Alijew kritische Medienschaffende unerbittlich verfolgt.

Europa: Gewalt, Behinderungen und restriktive Gesetze

Europa ist nach wie vor die Weltregion, in der Journalistinnen und Journalisten im Vergleich am freiesten arbeiten können. 2021 haben sich jedoch einige besorgniserregende Trends fortgesetzt. Die vielerorts zunehmende Gewalt gegen Medienschaffende gipfelte in gleich zwei Morden binnen weniger Monate: dem an Giorgos Karaivaz in Griechenland (108) und an Peter R. de Vries in den Niederlanden (28). Beide wurden tagsüber im öffentlichen Raum mit Schüssen geradezu hingerichtet.

Griechenland löst in diesem Jahr Bulgarien (91) als am schlechtesten platziertes Land der EU ab. Medienschaffende wurden im vergangenen Jahr regelmäßig daran gehindert, über kontroverse Themen wie die Situation von Geflüchteten auf den griechischen Inseln oder die Folgen der Pandemie zu berichten. Ein neues Fake-News-Gesetz erhöht die Gefahr von Selbstzensur. Rechts- wie Linksextreme greifen regelmäßig Redaktionsräume an. Darüber hinaus bleibt die Ermordung des erfahrenen Kriminalreporters Giorgos Karaivaz im April 2021 noch immer nicht aufgeklärt.

Die Niederlande büßten aufgrund der Ermordung von Peter de Vries, eines Polizeireporters und Rechtsberaters für Verbrechensopfer, ihren Platz in den Top Ten der Rangliste ein. Pressefreiheit nimmt in dem Land traditionell einen hohen Stellenwert ein und wird durch Gesetze, Staat und Behörden geschützt. Gewalttägige Übergriffe auf Medienschaffende und Redaktionen gab es allerdings schon in früheren Jahren, die verbale Aggressivität on- wie offline hat zuletzt zugenommen.

Außer in Deutschland und in den Niederlanden wurden besonders in Frankreich (26) und Italien (58) etliche Journalistinnen und Journalisten Opfer von gewalttätigen Übergriffen.

Polen (66) verfügt zwar eine diverse Medienlandschaft, allerdings hat die PiS-Regierung im Jahr 2021 wiederholt versucht, Einfluss auf die redaktionelle Linie privater Medien zu erlangen. Ab September hat sie die Berichterstattung an der Grenze zu Belarus eingeschränkt. In Ungarn (85) haben die Behörden dem letzten unabhängigen Radiosender Klubradio endgültig und willkürlich die Lizenz entzogen. Dort, aber auch in Slowenien (54) und Albanien (103), haben die jeweiligen Regierungen versucht, durch neue Gesetze die Arbeit der unabhängigen Medien einzuschränken.

In Serbien (79) gab es Fortschritte im Kampf gegen die Straffreiheit bei Verbrechen an Medienschaffenden. So wurde der Gerichtsprozess zum Brandanschlag auf das Haus des Journalisten Milan Jovanovic neu aufgerollt. Eine ebenfalls positive Entwicklung ist nach dem Regierungswechsel in Bulgarien (91) zu erwarten, das den letzten Platz unter den EU-Ländern mit Griechenland getauscht hat.

In der Türkei (149) ist die Lage der Pressefreiheit weiter katastrophal. 90 Prozent der Medien werden staatlich kontrolliert, das Internet ist nahezu systematisch zensiert. Die Justiz wird missbraucht, um Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen. Zwei Journalisten wurden seit Anfang 2021 ermordet.

Asien-Pazifik: Machtübernahmen verschlechtern Verhältnisse deutlich

In der Region Asien-Pazifik, wo mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, hat sich die Pressefreiheit insgesamt stark verschlechtert. Zum einen führte die Militärjunta in Myanmar (176) im Zuge ihres Putsches einen regelrechten Krieg gegen Journalistinnen und Reporter. Myanmar hat sich auf der Rangliste drastisch verschlechtert und liegt nun als eines der weltweit größten Gefängnisse für Medienschaffende auf dem fünftletzten Rang weltweit.

Zum anderen hat die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan (156) die Arbeitsbedingungen für Medienschaffende und Redaktionen enorm erschwert. Medienschaffende sind in allen Teilen des Landes zur Zielscheibe von Einschüchterung und Gewalt geworden, es herrscht in Teilen offene Zensur. Besonders dramatisch ist die Situation für Frauen: Vier von fünf Journalistinnen haben ihren Beruf aufgegeben oder aufgeben müssen.

Das Regime in China (175) weitet sein Modell der Informationskontrolle innerhalb und außerhalb seiner Grenzen aus: Hongkong (148), als Sonderverwaltungszone von Peking kontrolliert, hat auf der neuen Rangliste so viele Plätze verloren wie kein anderes Land. Auch die Regierungen von Vietnam (174) und Singapur (139) haben ihren Einfluss auf die Medien verschärft.

Auch in Ländern, die als demokratischer gelten, werden die Medien von zunehmend autoritären Regierungen unter Druck gesetzt, etwa in Indien (150), Sri Lanka (146) und den Philippinen (147). Kritische Journalistinnen wie die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa aus den Philippinen oder die Inderin Rana Ayyub sind Ziel intensiver Verfolgungs- und Verleumdungskampagnen.

Zahlreiche Medien unterliegen zunehmender Kontrolle durch große Industriekonzerne. Deren Einfluss fördert die Selbstzensur von Journalistinnen und Redakteuren, beispielsweise in Japan (71), Südkorea (43) und Australien (39).

Umgekehrt spielt die freie Ausübung des Journalismus eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung aufstrebender Demokratien, etwa in der Mongolei (90) und in Osttimor (17). Neuseeland (11) hat institutionelle Schutzmechanismen gegen politische und wirtschaftliche Einflussnahme entwickelt und ist damit ein Vorbild in der Region.

Naher Osten und Nordafrika: Region mit den meisten Ländern in der schlechtesten Kategorie

In den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas ist die Situation der Medien besorgniserregend. Seit Jahren steht die überwiegende Mehrheit der Länder der Region in der Rangliste auf den hinteren Plätzen. Mehrere Journalistinnen und Reporter wurden im Jahr 2021 bei ihrer Arbeit getötet oder vorsätzlich ermordet.

Im Libanon (130) wurde der Journalist und politische Analyst Lokman Slim am 4. Februar 2021 tot neben seinem Auto gefunden. Auf ihn als scharfen Kritiker der Hisbollah war ein Kopfgeld ausgesetzt. In dem krisengeschüttelten Land nehmen digitale Angriffe und Todesdrohungen gegen Medienschaffende zu. Weil die Behörden zumeist untätig bleiben, sind viele Journalistinnen und Journalisten ins Exil gegangen.

Auch im Jemen (169) ist die Berichterstattung oft lebensgefährlich. Allein in Aden starben drei Reporter bei Explosionen. Die Journalistin Rascha Abdallah al-Harazi wurde durch eine Autobombe getötet, ihr Ehemann Mahmud al-Atmi, ebenfalls Journalist, überlebte das Attentat.

Bei Zusammenstößen in Ostjerusalem wurden im Mai 2021 mehrere Journalisten aus den Palästinensischen Gebieten (170) durch israelische Sicherheitskräfte verletzt. Im Zuge der nachfolgenden israelischen Militäroffensive im Gazastreifen starben zwei Journalisten durch Bombenangriffe. Infolge dessen ist Palästina in die Schlussgruppe der Länder mit der schlechtesten Pressefreiheits-Bilanz weltweit abgerutscht. Israel steht auf Rang 86.

Dem Regime in Saudi-Arabien (166) ist es jüngst gelungen, den Gerichtsprozess im Mord an Jamal Khashoggi nach Riad zu holen. Jegliche Chance auf Gerechtigkeit für den Journalisten ist damit wohl vergeben. Das Land bleibt eines der schlimmsten Gefängnisse der Welt für Medienschaffende.

Auch im Iran (178) war 2021 kein gutes Jahr für die Pressefreiheit. Der neue Präsident Ebrahim Raisi und Gholamhossein Mohseni-Esche'i als neuer Leiter des iranischen Justizsystems haben persönlich Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten verantwortet. Seit sie an der Macht sind, beobachtet RSF eine Zunahme von willkürlichen Verhaftungen und Verurteilungen. In mehreren Fällen wurde Medienschaffenden bewusst die medizinische Versorgung vorenthalten.

Ernsthaft verschlechtert hat sich die Situation der Pressefreiheit in Algerien (134). Viele Journalistinnen und Reporter wurden inhaftiert, strafrechtlich verfolgt oder mit einem Reiseverbot belegt. Mehrere Nachrichtenseiten wurden blockiert, regierungskritische Publikationen wurden von Geldflüssen abgeschnitten.

In Marokko (135) sind mittlerweile nur noch wenige unabhängige Medien tätig. Drei große Strafverfahren haben seit 2018 ihre abschreckende Wirkung auf die Presse nicht verfehlt: Taufik BouachrineOmar Radi und Souleiman Raissouni wurden unter fadenscheinigen Gründen und trotz internationalen Drucks strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Noch besorgniserregender ist die Lage in Libyen (143) und im Sudan (151), wo das Fehlen einer handlungsfähigen Regierung einen ernsthaften Einsatz für die Pressefreiheit verhindert. Das Militär ist allgegenwärtig, insbesondere im Sudan.

Tunesien (94) belegt unter den Ländern der Region seit mehreren Jahren einen der vorderen Plätze. Presse- und Informationsfreiheit sind unbestreitbare Errungenschaften der neuen, 2014 verabschiedeten Verfassung. Ernsthafte Bedenken kamen jedoch auf, als Präsident Kais Saied im Juli 2021 die Macht übernahm und den Ausnahmezustand ausrief.

Nord-, Mittel und Südamerika: Medienfeindliche Hetze und Gewalt

In den meisten Ländern Lateinamerikas arbeiten Journalistinnen und Journalisten in einem zunehmend toxischen Arbeitsumfeld. Wie schon 2020 verstärkte die Corona-Krise auch 2021 Zensurbestrebungen und verschlechterte die wirtschaftlich angespannte Lage vieler Medien weiter. Medienfeindliche Rhetorik aus der Politik befeuerte unter anderem in Brasilien (110), Venezuela (159), Nicaragua (160), El Salvador (112) und Kuba (173) das Misstrauen in die Medien. Hinzu kommen Verleumdungs- und Einschüchterungskampagnen, insbesondere gegen Frauen, und Online-Hetze gegen kritische Medienschaffende.

Die Lage für Medienschaffende in Nicaragua spitzte sich 2021 dramatisch zu. Die Wiederwahl von Präsident Daniel Ortega im November 2021 wurde von einem brutalen Vorgehen gegen kritische Stimmen begleitet. Die wenigen letzten Bastionen der freien Presse gerieten unter Beschuss, und die überwiegende Mehrheit der unabhängigen Journalistinnen und Journalisten verließ das Land, um einer Strafverfolgung zu entgehen.

Äußerst besorgniserregend ist auch die Situation in El Salvador. Seit Präsident Nayib Bukele 2019 an die Macht kam, attackiert er zunehmend Medienschaffende und stilisiert die Presse als Feindin des Volkes. Ein geplantes Gesetz, mit dem Medien aufgrund finanzieller Unterstützung aus dem Ausland als „ausländische Agenten“ gekennzeichnet werden können, droht die Arbeit in- und ausländischer Journalistinnen und Journalisten weiter zu erschweren.

In Mexiko (127) wurden 2021 mindestens sieben Medienschaffende ermordet. Zum dritten Jahr in Folge ist es das tödlichste Land der Welt für Journalistinnen und Journalisten – beim Indikator Sicherheit belegt Mexiko Platz 179 von 180 (vor Myanmar).

In den USA (42) hat sich die Lage der Pressefreiheit seit dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden leicht entspannt. So wurden unter Biden die regelmäßigen Pressekonferenzen des Weißen Hauses und der Bundesbehörden wieder eingeführt. Chronische Probleme bleiben jedoch, wie das Lokalzeitungssterben und eine systematische Polarisierung der Medien.

Während Kanada (19) sich auf internationaler Bühne als Verfechter der Pressefreiheit zeigt, wurden Reporterinnen und Reporter im Land selbst zuletzt in ihrer Arbeit behindert: Bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen wurden sie feindselig behandelt, teilweise mit dem Tode bedroht und ihnen wurde der Zugang verweigert. Bei Protesten von Indigenen gegen eine Ölpipeline wurden Medienschaffende festgenommen.

Costa Rica (8) bleibt als Musterschüler auf dem amerikanischen Doppelkontinent ein Einzelfall.

Subsahara-Afrika: Krisen, Unterdrückung und vielfältige Presselandschaften zugleich

Die Lage der Pressefreiheit in Subsahara-Afrika ist äußerst heterogen. Länder wie Südafrika (35) und der Senegal (73) verfügen über eine vielfältige Medienlandschaft. Dem stehen Länder wie Dschibuti (164) und Eritrea (179) gegenüber, in denen kritische Stimmen fast vollständig verstummt sind und es keinen Raum für eine freie und unabhängige Presse gibt. Als Gesamtheit betrachtet, ist Subsahara-Afrika jedoch die Region, die die wenigsten hochproblematischen Länder beherbergt. In nur zwei von 48 Staaten ist die Lage der Pressefreiheit sehr ernst (dunkelrot).

In einigen Staaten wie den Seychellen (13), Gambia (50) und Angola (99) hat sich die Medienlandschaft, die lange Zeit gegängelt wurde, durch politischen Wandel in unterschiedlichem Maße geöffnet. Dennoch müssen kritische Stimmen in vielen Ländern Subsahara-Afrikas weiterhin damit rechnen, dass sie verfolgt und unterdrückt werden. Vielen Medien fehlt es zudem an einem nachhaltigen Wirtschaftsmodell. Da diese häufig in Privatbesitz sind, müssen sich die Mitarbeitenden dem redaktionellen Diktat der Eigentümer beugen. Im Zuge der Corona-Pandemie wurden teils drakonische Internetgesetze erlassen, um gegen kritische Berichterstattung vorzugehen.

In der Sahelzone haben Unsicherheit und politische Instabilität stark zugenommen, und die Pressefreiheit hat zuletzt schwere Rückschläge erlitten. 2021 wurden in Burkina Faso (41) zwei spanische Journalisten getötet. In Mali (111) wurde ein französischer Reporter von einer bewaffneten Gruppe entführt und befindet sich weiterhin in deren Gewalt. Benin (121), Mali und Burkina Faso verwiesen mehrere kritische Medienschaffende des Landes.

Situation in 180 Ländern im Vergleich – Methodik der komplexen Medienwirklichkeit angepasst

All die genannten Probleme führten dazu, dass sich in diesem Jahr zwölf Länder mehr in der schlechtesten Kategorie „sehr ernste Lage“ wiederfinden – so viele wie noch nie. Dies ist jedoch aufgrund einer eingeschränkten Vergleichbarkeit eher als Tendenz zu verstehen. Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Zur 20. Ausgabe wurde die Rangliste 2022 erstmals mit einer neuen Methode ermittelt, um die Komplexität der Verhältnisse, die die Pressefreiheit weltweit beeinflussen, besser widerzuspiegeln.

RSF hat die neue Methodik mit einem Expertenkomitee aus Medien und Forschung erarbeitet. Die Rangliste stützt sich nun auf fünf neue Indikatoren: politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftlicher Kontext, soziokultureller Kontext und Sicherheit. Diese Indikatoren werden in jedem der 180 untersuchten Staaten und Territorien ermittelt – zum Einen auf Grundlage von quantitativen Erhebungen zu Übergriffen auf Journalistinnen, Journalisten und Medien, zum Anderen auf Grundlage einer qualitativen Untersuchung, für die ausgewählte Journalistinnen, Wissenschaftler und Menschenrechtsverteidigerinnen in den jeweiligen Ländern einen Fragebogen mit 123 Fragen beantworteten. Auch dieser Fragebogen wurde 2022 aktualisiert, um neuen Herausforderungen für den Journalismus unter anderem durch die Digitalisierung Rechnung zu tragen. Mehr zur neuen Methodik hier.

Die Platzierungen einzelner Länder lassen sich somit nur sehr bedingt mit denen der Vorjahre vergleichen, weshalb sich Reporter ohne Grenzen in diesem Jahr weniger auf die Aufwärts- und Abwärts-Bewegungen einzelner Länder fokussiert. Auch die Farbgebung auf der Weltkarte der Pressefreiheit wurde verändert: Anstatt von weiß über rot und gelb bis schwarz rangieren die Länder nun von grün und orange bis rot.

In die Rangliste der Pressefreiheit 2022 fließen Daten von Anfang 2021 bis Ende Januar 2022 ein. In Ländern, in denen sich die Lage der Pressefreiheit seit Januar dramatisch verändert hat (Russland, Ukraine und Mali) wurden Entwicklungen bis einschließlich März 2022 berücksichtigt.

Ein Service des deutschen Präventionstages.
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