25. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Heinz Hilgers
Heute ist Dienstag, der 2. Juni 2020. Ich bin Erich Marks und als als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über Ihr Interesse an unseren Zwischenrufen zur Prävention in Zeiten der Corona-Epidemie und von COVID-19.
Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon den Präsidenten des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. Herr Hilgers hat dieses Amt seit 1993 inne und war zuvor langjähriger Bürgermeister der Stadt Dormagen, Landtagsabgeordneter in Nordhrein-Westfalen sowie Leiter des Jugendamtes in Frechen. Herr Hilgers kennt daher alle Facetten der Arbeit im Kinderschutz aus der Praxis, aus kommunaler sowie aus bundespolitischer Sicht seit vielen Jahren.
Herr Hilgers, ich begrüße Sie herzlich, danke Ihnen für Ihre Bereitschaft zu diesem Zwischenruf und darf Sie zunächst fragen, welche Herausforderungen für die Gewalt- und Präventionsarbeit Ihnen vor dem Hintergrund der Corona-Krise besonders wichtig erscheinen.
Die Lage von Kindern und ihren Familien ist aktuell sehr schwierig. Wir haben nur ein sehr diffuses Bild von dem, wie sich die Corona-Krise etwa auf Gewalt innerhalb der Familie auswirkt. Im März und April berichteten Jugendamtsmitarbeiter*innen mir von einem starken Rückgang der Fremdmeldungen zu Kindeswohlgefährdungen und in Einzelfällen beinahe auf Null. Das hatte sicher zum einen mit dem Wegfall von Kita und Schulen als Frühwarnsystem zu tun. Aber möglich ist auch, dass die Familien diesen begrenzten Zeitraum besser gemeistert haben, als wir gemeinhin glauben. Besorgniserregend ist, dass nun im Mai die Zahlen rasant zu steigen scheinen. Die Berichte über schwere Misshandlungen nehmen zu, auch wenn wir nach wie vor kein klares Bild haben.
Was ist das zentrale Anliegen Ihres heutigen Zwischenrufes?
Ein anderer wichtiger Punkt, der aber öffentlich bisher nur wenig diskutiert wird, ist die Lage von armen Kindern in unserem Land. Bildung hängt in Deutschland schon immer vor allem von der wirtschaftlichen Situation der Eltern ab. Mit Kitas und Schulen kann diesem Ungleichgewicht wenigstens zu einem kleinen Teil, wenn auch längst nicht ausreichend, entgegengewirkt werden. Nun haben aber Kinder in Deutschland seit vielen Wochen keinen regulären Unterricht mehr. Es wird von den Eltern erwartet, dass sie die Beschulung zuhause übernehmen. Die Politik setzt voraus, dass da Zuhause mehrere Endgeräte vorhanden sind. Aber wer hat denn Zuhause schon mehrere Laptops und PCs, an denen gleichzeitig die Kinder lernen und Mutter und Vater im Homeoffice arbeiten können? Ganz zu schweigen von den erhöhten Kosten für Drucker, Papier und so weiter.
Die Bundesregierung hat jetzt eine Laptopprämie aufgelegt, die mit 150€ erstens nicht ausreichend ist. Und die zweitens bis heute bei keinem bedürftigen Kind angekommen ist. Man rettet die Lufthansa mit wahnsinnigen Milliardenbeträgen und lässt arme Familien in dieser Krise vollständig allein. Das macht mich wirklich sauer.
Und ein anderer Punkt: Bedürftige Kinder haben einen Anspruch auf ein kostenloses Mittagessen in Kita und Schule. Wenn die geschlossen sind, müssen Familien diese Kosten zusätzlich stemmen. Und das bei leergehamsterten Regalen und in der Regel kaum noch verfügbaren günstigen Lebensmittel. Für diese Kosten könnte man völlig unbürokratisch Kompensation leisten. Der Staat spart an dieser Stelle ja das Geld ein! Stattdessen gängelt man die armen Familien und will ihnen Essen auf Rädern – aber nur für die Kinder – zur Verfügung stellen. Da fehlt mir wirklich die Fantasie, wie das umgesetzt werden soll. Passiert ist da jedenfalls bis heute so gut wie nichts.
Abschließend bitte ich Sie um eine kurze zusammenfassende Aussage zu Ihrem heutigen Anliegen:
Es gibt eine Ideologie des Misstrauens gegen arme Familien bei der ich mich nur mühsam beherrschen kann. Die Corona-Krise offenbart diese Haltung nun. Meine große Befürchtung ist, dass sich Bildungs- und Chancengerechtigkeit in Deutschland nach dieser Krise noch einmal verschlechtert werden haben. Von Armutsprävention ist jedenfalls kaum die Rede.
Herr Hilgers, haben Sie herzlichen Dank für diesen pointierten Zwischenruf und bleiben Sie gesund.
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