34. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Alexander Mauz
Heute ist Montag, der 31. August 2020. Ich bin Erich Marks und als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über Ihr Interesse an unseren Zwischenrufen zur Prävention.
Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon Herrn Alexander Mauz, den Sprecher des Konsortiums Ziviler Friedensdienst (ZFD) mit Sitz in Bonn. Herr Mauz arbeitet seit mehr als 15 Jahren in den Bereichen Friedensarbeit, Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe und ist seit 2018 Vorstand für Programme und Qualifizierung beim Forum Ziviler Friedensdienst.
Herr Mauz, ich begrüße Sie herzlich, danke Ihnen für Ihre Bereitschaft zu diesem Zwischenruf und darf Sie zunächst fragen, welche Herausforderungen für die Präventionsarbeit erscheinen Ihnen aktuell und generell besonders wichtig?
Die Corona-Pandemie trifft die Gesellschaften fragiler Staaten besonders hart. Die oft prekäre Gesundheitsversorgung steht vor dem Kollaps. Schwierige Lebensbedingungen und Armut begünstigen die Ausbreitung des Corona-Virus und führen zu einer drastischen Zunahme sozialer Spannungen und häuslicher Gewalt. Konflikte werden durch Versorgungsengpässe, Einkommensverluste, Unsicherheit und Ängste verschärft. Hinzu kommt, dass manch autoritäres Regime die präventiven Maßnahmen gegen das Virus missbraucht, um die Menschenrechte und die Spielräume der Zivilgesellschaft weiter einzuschränken. All das führt dazu, dass die Zivilgesellschaft durch die Pandemie und ihre Auswirkungen doppelt geschwächt wird: sie kann weder ihre Dienstleistungs-, noch ihre Watch-Dog-Funktion wie gewohnt ausfüllen. Die schwerwiegenden gesundheitlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen der Pandemie gefährden den Weg zum Frieden in Krisen- und Konfliktregionen auch langfristig. In dieser Situation sind wir als Partner der zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort gefordert. Gerade jetzt ist es wichtig, ihnen bei der Friedensarbeit weiterhin zur Seite zu stehen, um Konflikte rechtzeitig zu deeskalieren, Gewalt vorzubeugen und die Lage zu stabilisieren. Das hilft auch dabei, die langfristigen Folgen der Krise abzufedern. Vor dem Hintergrund von Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen, Hygiene- und Abstandsregeln ist die Unterstützung natürlich besonders schwierig – aber nicht unmöglich. Die meisten Partner und ZFD-Fachkräfte haben sich technisch und inhaltlich schnell an die neuen Herausforderungen angepasst. Sie setzen verstärkt auf mobile und virtuelle Kommunikations- und Arbeitswege.
Auch im Libanon geht die Friedensarbeit weiter, vor dem Hintergrund der jüngsten Katastrophe in Beirut unter noch schwereren Bedingungen. Unsere Teams und Partner unterstützen aktuell direkt betroffene Bevölkerungsgruppen mit psychosozialen Maßnahmen und weiteren Angeboten. Unter anderem versuchen wir, die große politische Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Regierung in konstruktive Prozesse umzuwandeln. Dies geschieht durch die Organisation von Austauschen und Diskussionsforen in den Straßen Beiruts.
Unser reguläres Programm geht aber ebenfalls weiter. Das Redaktionsteam des Medienprojekts Campji ist eigentlich auf den Straßen des Geflüchtetencamps Schatila in Beirut unterwegs, um Stimmungen einzufangen und direkt mit den Menschen zu sprechen. Die wegen COVID-19 auferlegten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen erforderten ein Umdenken. Eine vom ZFD durchgeführte Schulung zur mobilen Berichterstattung gab hierfür wichtige Impulse. Das Team von Campji produzierte von zu Hause aus humvorvolle Clips zu den Hygieneregeln und traf damit den Nerv der Zielgruppe im Camp. Die Videos werden gelikt, geteilt, kommentiert – und bringen damit auch ihre präventive Botschaft unter die Leute: Den adäquaten Umgang mit der viralen Gefahr, aber auch mit den Auswirkungen des Lockdowns auf das Leben der Menschen in Schatila.
In Mexiko erschweren die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie die lebensgefährliche Arbeit von Menschenrechtsverteidigerinnen und – verteidigern (MRV) zusätzlich. Ihre Arbeit ist weniger sichtbar oder gar unmöglich, teilweise werden die Präventionsmaßnahmen gegen das Virus auch als Vorwand benutzt, um die Menschenrechtsarbeit mit Gewalt zu unterbinden. Die ZFD-Partnerorganisation ALUNA unterstützt MRV dabei, ihr Engagement trotz der Einschränkungen und der ständigen Bedrohung aufrechtzuerhalten. Die Organisation bietet in der Krise verstärkt psychosoziale Betreuung an, damit MRV mit der Belastung besser umgehen und sich wirkungsvoller schützen können. ALUNA macht auch öffentlichkeitswirksam auf die psychosozialen Auswirkungen der Pandemie aufmerksam und fördert mit verlässlichen Informationen eine kritische Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Pandemie.
Was ist das zentrale Anliegen Ihres heutigen Zwischenrufes?
Wir möchten verdeutlichen, dass die lokale Friedensarbeit und die Arbeit des Zivilen Friedensdienstes auch unter den verschärften Bedingungen der Corona-Pandemie weitergeht - und weitergehen muss. ZFD-Fachkräfte und lokale Teams entschärfen vielerorts Konflikte und wirken präventiv, sie stehen verletzlichen Gruppen bei und behalten die Menschenrechte im Blick. Vielerorts füllen sie sogar staatliche Versorgungslücken, etwa bei gesundheitlicher Aufklärung und psychosozialer Beratung. Daher ist es auch wichtig, dass sich all die internationalen Bemühungen nicht nur auf den Wirtschafts- und Gesundheitssektor konzentrieren. Sie sollten in gleicher Weise die zivile Friedensarbeit und Gewaltprävention stärken, damit die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie abgefedert und Gewalt vorgebeugt werden kann.
Zivilgesellschaftliche Organisationen tragen durch ihre friedensfördernde Arbeit erheblich dazu bei, die Folgen der Corona-Pandemie zu mildern. Sie brauchen jetzt Solidarität und starke internationale Partnerschaften, damit sie ihre Friedensarbeit fortsetzen können. Es braucht zum Beispiel eine Garantie, dass die langfristig angelegte Arbeit auch in Zukunft Bestand haben wird und sich die Partner vor Ort auf zuverlässige und flexible Projektförderungen stützen können. Gerade jetzt ist auch mehr Flexibilität bei der Mittelverwendung in der Projektförderung nötig, damit die lokalen Partnerorganisationen in Notlagen wie dieser dringliche Hilfsmaßnahmen schnell und unkompliziert finanzieren können.
Es sollte der gesamte Instrumentenkasten der Entwicklungs- und Friedenspolitik genutzt und die Maßnahmen miteinander verbunden werden, z.B. Verknüpfung von Soforthilfemaßnahmen mit krisenpräventiven Maßnahmen (Ernährungssicherung), Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Epidemie-Ausbrüche (Sensibilisierungsmaßnahmen, nachhaltige Gesundheitsinfrastruktur) und Maßnahmen zur Adressierung sozialer und politischer Konflikte (Stärkung staatlicher Institutionen, zivile Konfliktbearbeitung, soziale Kohäsion) im Sinne des Humanitarian-Development-Peace-Nexus. Zudem, und das ist vielleicht eine Chance der Krise, könnte auch jetzt die Digitalisierung der Friedensarbeit vorangetrieben werden, z.B. indem die technische Ausstattung der lokalen Teams in den Partnerorganisationen und Weiterbildungen der zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort im Umgang mit virtuellen Arbeitstools gefördert werden.
Darf ich Sie abschließend noch um eine kurze zusammenfassende Aussage zu Ihrem heutigen Anliegen bitten:
In vielen Krisen- und Konfliktregionen verschärft die Corona-Pandemie bestehende Konflikte und erhöht die Gefahr, dass Gewalt ausbricht. Gleichzeitig werden vermehrt Menschenrechte und Handlungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft eingeschränkt. Daher müssen die Bemühungen um friedliche Konfliktbearbeitung unbedingt aufrechterhalten werden. Gerade jetzt ist die zivile Konfliktbearbeitung zentral. Wir müssen daher mit allen Kräften lokale zivilgesellschaftliche Organisationen und Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger unterstützen und auch die Digitalisierung der Friedensarbeit vorantreiben. Die Corona-Pandemie wird die Friedensarbeit langfristig vor Herausforderungen stellen. Programme für Friedensförderung und Gewaltprävention brauchen wachsende Budgets, Beachtung, politisches Interesse und politische Unterstützung um aktuelle und künftige Bedarfe der lokalen Partner in Krisen- und Konfliktregionen bedienen zu können.
Herr Mauz, haben Sie herzlichen Dank für diesen Zwischenruf und bleiben Sie gesund.
Ziviler Friedensdienst
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