41. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Eva Groß
Gesellschaft, Polizei, Rassismus und Prävention.
„Schleichende Normalisierungen von Verschwörung, Gewalt und Feindbildern müssen ausgebremst werden.“- Botschaft 1: Wir brauchen präventive Störungen und alternative Inszenierungen der durch Corona Problematisierungen gerahmten und oftmals verschwörungstheoretisch inszenierten, ausgrenzenden Botschaften des autoritär-nationalradikalen Milieus, die Betroffenen der Corona Pandemie realistische Lösungswege aufzeigen. Diese müssen auch staatlich und sozial gerecht umgesetzt werden. Andernfalls geraten wir in eine gesellschaftliche Polarisierungsspirale, die gegenseitige Feindbildkonstruktionen und Ausgrenzung vorantreibt und so politischen Kräften eine Macht verleiht, die die FDGO ernsthaft gefährden. Corona verschärft diese Dynamiken, sie waren jedoch schon vorher wirksam.
- Botschaft 2: Polizei bleibt nicht unberührt von diesen Entwicklungen. Um die Integrität und positive berufliche Identität von Polizist*innen zu bewahren, ist eine Verwissenschaftlichung und damit Versachlichung der hitzigen Debatte um „Rassismus in der Polizei“ ebenso notwendig, wie eine nachvollziehbare und kluge Reaktion der Polizei auf die jüngsten Ereignisse in einer mittlerweile jahrelangen Kette von menschenfeindlichen Vorfällen. Nur so kann das große Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei in Deutschland weiter aufrechterhalten werden und nachhaltige wie wirksame Prävention in dieser besonders verantwortungsvollen Institution stattfinden.
Wir erleben krisenhafte Zeiten in Deutschland.
Anzeichen krisenhafter gesellschaftlicher Polarisierung und Radikalisierung gehen von sprunghaften Anstiegen vorurteilsgeleiteter Hasstaten gegen Minderheitengruppen über das Erstarken rechtspopulistischer Parteien und deren diskursive Einflusskraft, „autoritäre Versuchungen“ (Heitmeyer 2018) bis in die Mitte der Gesellschaft, bis hin zur aktuell hitzigen Debatte um Rassismus in der Polizei.
Nach Zick & Küpper (2018) beginnt die gesellschaftliche Dynamik der Radikalisierung über eine kleine Minderheit. Mittels diskursiver Strategien, wie gezielte sprachliche Tabubrüche in Kombination mit Opfernarrativen in einer vermeintlichen Meinungsdiktatur, werden Normverschiebungen angestoßen. Das neue rechte Milieu strebt so nach kultureller Hegemonie im vorpolitischen Raum um gesellschaftliche Deutungsmacht über Signalereignisse und krisenhafte Entwicklungen zu gewinnen. Implizit schwingt in diesen neuen rechten Erzählungen eine autoritär-nationalradikale(1) Ideologie mit, sie schmiegt sich an die demokratischen Deutungsrahmen der Mehrheitsgesellschaft an und baut so diskursive Brücken in die Mitte der Gesellschaft. Sukzessive teilen größere Teile der Gesellschaft so immer weniger die demokratischen Normen der Toleranz und Gleichwertigkeit. Vorurteilsrepression und Unterdrückung von negativen Emotionsäußerungen gegenüber Gruppen verblassen, was die Spirale der Radikalisierung weiter erhitzt und Menschenfeindlichkeit wie Ungleichwertigkeit zunehmend sagbar und normal werden lässt. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF)(2) ist in diesem Prozess zentral. Sie hat eine Scharnierfunktion für anti-demokratische Einstellungen und Radikalisierung von Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft (vgl. Zick/Küpper 2018). Die beschriebenen Mechanismen beschleunigen sich nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Relevanz neuer sozialer Medien in unserer alltäglichen zwischenmenschlichen sozialen Interaktion. Das Web 2.0 erlaubt nicht nur weitausgreifende Mobilisierungs- und Radikalisierungsschübe in Echtzeit; vielmehr lassen die Dynamiken zeit-und raumüberschreitender Kommunikationen die Grenzen zwischen Sender und Empfänger von Online-Botschaften verschwimmen, was zu einer bis dahin unbekannten Verkettung von prinzipiell grenzenlosen kommunikativen Mobilisierungsakten führt.
Digitale und analoge Verschwörungserzählungen, wie die der „Querdenker“, die zuletzt große Anti-Infektionsschutz-Demos organisierten, vermögen genau diese Mechanismen der Radikalisierung in der Mitte zu beschleunigen, online wie offline. Menschen, die vorher schon in den rechten Bereich gekippt sind, kippen in der gegenwärtigen pandemischen Lage noch leichter in Richtung einer ausgrenzenden Ideologie, so meine These. Die Bewegungsakteure der ausgrenzenden Ideologien verstehen es gut, Deutungsrahmen miteinander zu verknüpfen und so die Oberhand über einen Diskurs zu gewinnen, der alle Menschen, durch sämtliche Bevölkerungsschichten hindurch bewegt: Die Sorge im Zuge der Entwicklungen auf Grund der Corona Pandemie. Hier müssen wir als demokratische Gesellschaft genau hinsehen. Wir müssen die Menschen, die berechtigte Sorgen haben, dort abholen und ihnen ein alternatives Narrativ mit realistischen Lösungsansätzen bieten, das überzeugender Gefühle von sozialer Zugehörigkeit und Anerkennung weckt, als es die abwertenden und ausgrenzenden Verschwörungserzählungen des autoritär-nationalradikalen Milieus tun können. Das wäre nachhaltige Prävention gegen Radikalisierung, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und nicht zuletzt auch Hasskriminalität. Die schleichende Normalisierung von Verschwörung, Gewalt und Feindbildern muss ausgebremst werden, indem die existentiellen und materiellen Sorgen der Menschen, die sich durch die Corona Pandemie verschärft haben, ernst genommen werden und auf eine sozial gerechte Weise realistische Lösungswege politisch umgesetzt werden.
Die beschriebenen Entwicklungen machen selbstverständlich nicht vor Polizistinnen und Polizisten Halt. Das Thema Rassismus in der Polizei wird gegenwärtig politisch, gesamtgesellschaftlich, aber auch polizeiintern und polizeigewerkschaftlich hoch umstritten debattiert. Ursache für die aktuelle öffentliche Erregungswelle, mitsamt den bundes- und länderspezifisch uneinheitlichen politischen Forderungen bezüglich einer polizeiunabhängigen wissenschaftlichen Studie zum Thema, ist nicht nur die auch hierzulande aktive Black Lives Matter Bewegung mit ihren ausgreifenden Mobilisierungseffekten. Die jüngst aufgedeckten menschenfeindlichen Chats unter Polizeibeamt*innen wie Verfassungsschützer*innen befeuern vielmehr den schon seit den ersten „NSU 2.0-Aufdeckungen“ entstandenen Eindruck einer demokratietheoretisch problematischen Entwicklung in der Organisationskultur der Polizei, die gruppenbezogene Abwertung im Rahmen von beruflichen Alltagspraktiken und -belastungen zunehmend sagbar werden lässt. Ein Zusammenhang mit den beschriebenen gesamtgesellschaftlichen Radikalisierungen und Polarisierungen liegt nahe. Die besondere gesellschaftliche Verantwortung der Polizei, u.a. durch das Tragen des staatlichen Gewaltmonopols, zwingt sie aber noch mehr als andere Institutionen sich mit den kritischen Blicken und Stimmen der demokratischen Öffentlichkeit auf eine nachvollziehbare und glaubhafte Art auseinanderzusetzen. Nur so können sowohl Integrität, als auch Identität der Polizist*innen als „gute“ Polizist*innen geschützt werden. Eine versachlichte Debatte auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen ist hierfür eine Grundvoraussetzung. Leider scheitert diese gegenwärtig oft an einer Abwehr- und Verteidigungshaltung von einflussreichen Akteuren in der Polizei. In dieser lassen sich zwar bekannte Abwehrmuster erkennen, die schon in den 90er Jahren, zu Zeiten aus denen die letzten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema stammen, in Form von 4 Thesen beschrieben wurden: 1. Einzelfallthese; 2. Relativierungsthese: auch andere Institutionen haben Probleme; 3. Spiegelbildthese: Polizisten auch nur Menschen; 4. Manipulationsthese: linke Medien wollen Polizei diffamieren (vgl. Jaschke et al. 1996). Die Abwehr bezieht sich heute aber insbesondere auch auf eine unterstellte Vorverurteilung alleine durch den Begriff „Rassismus“, der als vorweggegriffenes Ergebnis einer möglichen Untersuchung zu demokratiebezogenen Einstellungen, Werthaltungen und Risikokonstellationen in der Polizei aufgefasst wird. Hier setzt ein Ansatz eines Forscherinnenteams in Hamburg an. Um eine wissenschaftliche Datenbasis zu schaffen und damit zur Versachlichung der Debatte beizutragen wurde ein Ansatz entwickelt, der den Begriff des Rassismus über das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit differenziert. Mögliche Risikokonstellationen werden dabei aus den bestehenden Erkenntnissen der Vorurteilsforschung abgeleitet und auf diesem Hintergrund, unter spezieller Berücksichtigung bereichsspezifischer polizeilicher Belastungs- und Alltagssituationen, wie auch den entsprechenden Routinen, untersucht. Deutlich wird aus dieser Perspektive, dass es regelmäßige gesamtgesellschaftliche Untersuchungen zum Phänomen, nämlich der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, mitsamt den aus der Forschung bekannten Schutz- und Risikofaktoren, bereits seit 2002 gibt,(3) anders als Horst Seehofer dies in seinen jüngsten öffentlichen Statements feststellte.(4) Höchste Zeit also, sich als Polizei nicht in einer diesbezüglichen Sonderstellung zu sehen, insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen gesellschaftlichen Verantwortung, die die Polizei trägt. Das wäre nachhaltige Prävention gegen Radikalisierung und Rassismus in der Polizei. Eine solche Prävention braucht wissenschaftlich differenzierte und nicht nur oberflächliche Erkenntnisse zu berufsspezifischen Entstehungszusammenhängen, denn nur auf einer solchen Grundlage können Risikokonstellationen ernsthaft verstanden und entschärft werden um die Integrität der Polizei zu bewahren.
Homepage
https://akademie-der-polizei.hamburg.de/profs/11946292/eva-grosz-a/
Auswahl Publikationen:
Groß, E. & Neckel, S. (2020 i. Dr.). Social Media und die Bedeutung von Emotionen in autoritär-nationalistischen Radikalisierungsnarrativen. In: A. Hamachers, K. Weber, J. Widmann & S. Jarolimek (Hrsg.), Extremistische Dynamiken im Social Web. Frankfurt a. M.: Verlag für Polizeiwissenschaft.
Groß, E., Dreißigacker, A., Riesner, L. 2019. „Viktimisierung durch Hasskriminalität. Eine erste repräsentative Erfassung des Dunkelfeldes in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein“. In: Wissen schafft Demokratie - Open Access Schriftenreihe des IDZ 4/2019: 140-159.
Groß, E., Hövermann, A. 2018. „Marktförmiger Extremismus – Abwertung, Ausgrenzung und Rassismus vor dem Hintergrund einer Ökonomisierung des Sozialen“, in Gomolla, M., Menk, M., Kollender, E. (Hg.), Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland - Figurationen und Interventionen in Gesellschaft und staatlichen Institutionen, Beltz-Verlag, 110 - 126.
Groß, E., Hövermann, A., Messner, S. 2018. „Marketized mentality, competitive/egoistic school culture, and delinquent attitudes and behavior: An application of Institutional Anomie Theory“. Criminology Vol. 56 (2), 333-369.
Hirtenlehner, H., Groß, E. 2018. „Einstellung zu „Ausländern“ und Furcht vor Kriminalität“. In: Kriminalistik 3/2018: 169-173.
Freiheit, M., Groß, E., Wandschneider, S., Heitmeyer, W. 2017. Mehrfachtäterschaft im Jugendalter. Soziale Hintergründe und Verläufe wiederholter Delinquenz (Reihe: Analysen zu gesellschaftlicher Integration und Desintegration), Springer VS.
Groß, E. 2016. „Enterprising self and prejudices toward unemployed persons. Analyses of intergroup-mechanisms that substantiate neoliberal inequalities”. Zeitschrift für Soziologie, 45(3): 162-180.
Grau, A., Groß, E., Reinecke, J. 2012. „Abgehängte Sozialräume - Die Bedeutung von Jugendarbeitslosigkeit für Orientierungslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit“, in: Heitmeyer, W. (Ed.), Deutsche Zustände. Folge 10., Berlin, Suhrkamp, S. 129-150.
(1) Heitmeyer (2018) beschreibt das neue rechte Milieu als „autoritären Nationalradikalismus“, eine Formel, die den schwammigen Begriff Rechtspopulismus ersetzen soll. Der begriffliche Rahmen „autoritärer Nationalradikalismus“ fasst unterschiedliche inhaltliche und formale Ebenen zusammen: „…prägende Einstellungsmuster, zentrale programmatische Aussagen zu ‚bewegenden Themen‘ und den Mobilisierungsstil“ (ebd.). Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist in Deutschland eine zentrale Protagonistin des autoritären Nationalradikalismus, die PEGIDA Bewegung, spätestens seit den Trauermärschen in Folge der Ereignisse in Chemnitz, ihre außerparlamentarische Verbündete (Stark 2018, Holscher & Meyer zu Eppendorf 2018). Ihr Mobilisierungsstil sei ein rabiat-emotionalisierter, der insbesondere mit menschenfeindlichen Grenzüberschreitungen operiere (Heitmeyer 2018: 235). Der neue Typus sei zwischen einem ideologisch „flachen“ (ebd.: 235) Rechtspopulismus und einem gewaltförmigen Rechtsextremismus/Neonazismus zu verorten.
(2) Zum Begriff siehe Heitmeyer 2002.
(3) „Deutsche Zustände“ & Mitte Studien des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld.
(4) PK vom 06.10. z.B. https://www.facebook.com/derspiegel/videos/2697125940602997/ (Minute ca. 11:50)
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