40. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Ingo Siebert
Heute ist Dienstag, der 22. September 2020. Ich bin Erich Marks und als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über Ihr Interesse an unseren Zwischenrufen zur Prävention.
Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon Ingo Siebert. Herr Siebert ist Stadtsoziologe und kommissarischer Leiter der Geschäftsstelle der Landeskommission Berlin gegen Gewalt.
Herr Siebert, ich begrüße Sie herzlich zu diesem Zwischenruf und bedanke mich für Ihre Bereitschaft uns Rede und Antwort zu stehen. Kommen wir zur ersten meiner heutigen drei Fragen:
Womit beschäftigen Sie sich im Moment?
Kurz vor dem Deutschen Präventionstag trifft sich der Berliner Präventionstag und erstmalig in der Geschichte der Berliner Präventionstage am 25. September 2020 eben auch digital. In Berlin ist das so was wie die Vollversammlung der Landeskommission Berlin gegen Gewalt, dem zentralen Präventionsgremium in der Stadt. Menschen, die sich beruflich oder ehrenamtlich gegen Gewalt und für ein friedliches Miteinander einsetzen, diskutieren diesmal im Netz ihre Strategien. Sie kommen aus der Schule, der Jugendarbeit, der Polizei, dem Sport, der Kulturarbeit, aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und verschiedenen Verwaltungen.
Unter dem Titel #DigitalGegenGewalt finden Vorträge, Workshops und die Prämierung der Preisträgerinnen unseres Wettbewerbes „<3- Speech“ (sprich Love-Speech) statt. Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Frage, wie wir Hass, Extremismus, Cybergromming und Cybermobbing bekämpfen und wie Prävention im Internet organisiert werden kann. Eins ist klar: Die Prävention im Netz bringt neue Herausforderungen mit sich, denn das Gegenüber ist häufig gesichts- und namenlos, erstmals scheinbar nicht greifbar. Durch Corona noch beschleunigt, werden Präventionsakteure vor neue Herausforderungen gestellt: technisch, methodisch und juristisch.
Was ist Ihr Anliegen für den heutigen Zwischenruf?
Große Sorgen machen mir der Rechtsextremismus und der Hass im Netz. Wie kann man die Gegenwehr im Internet organisieren. Hasspostings und Hassmails mit beleidigenden und verleumdenden Inhalt können jede und jeden treffen, der sich im öffentlichen Leben zeigt oder in sozialen Netzwerken äußert.
Das bedroht die Meinungsfreiheit, unser gesellschaftliches Miteinander und unser demokratisches System, denn Hass im Netz schürt Angst, Angst sich zu äußern und Angst sich politisch oder zivilgesellschaftlich zu engagieren.
Es geht darum in der gesamten Internet-Community ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass jeder Einzelne gefordert ist Haltung zu zeigen und sich zu positionieren. Schweigen und wegklicken ist einfach, überlässt der anderen Seite aber den Raum.
Wir kommen um die Verantwortungsübernahme eines jedes Einzelnen nicht drum rum.
Spannend finde ich in diesem Zusammenhang eine Studie, die besagt, dass, wenn man Gegenwehr im Internet organisiert, der Hass abnimmt. Die Studie basiert auf der Grundlage von deutschsprachigen Tweets aus den Netzwerken der rechten Trollarmee «Reconquista Germanica» und des von Fernsehmoderator Jan Böhmermann initiierten Gegenentwurfs «Reconquista Internet». Anhand dieser Tweets programmierten die Forschenden einen Algorithmus, der Hassrede und Gegenrede sowie deren Wechselbeziehung erkennen kann. Einfach ausgedrückt: Gegenrede führe, so die Studie, einen zivilisierteren Diskurs herbei, wenn sie organisiert sei.
Und was bewegt Sie zurzeit?
Seit 30 Jahre befasse ich mich mit Rechtsextremismus in Deutschland und ich bin grade fassungslos, dass die Entwicklungen hier immer noch unterschätzt und verharmlost wurden. In diesem Jahr zeigt sich deutlich, wenn wir auf die Anschläge vom Hanau und Halle, den Ereignissen vor dem Reichstag vor wenigen Wochen und den jüngsten Skandal der Rechtsextreme Chatgruppen der NRW-Polizei schauen, dass wir robustere Präventionsstrategien im internet und den Sozialen Medien brauchen. Wir brauchen eine Kultur den Hinsehens und des demokratischen Aneignen digitaler Räume. Methodisch stehen wir hier erst am Anfang und wir müssen schneller und mit mehr Qualität agieren. Auch im Netz stellt sich die Frage nach der inhaltlichen und praktischen Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Professionen der Prävention. Wir sehen das Netz ist ein zentraler sozialer Raum geworden, aber wenden hier häufig Regeln und Methoden, die zum Beispiel im Stadtraum gelten, nicht. Beispielsweise haben wir erst durch die Pandemie mehr Erfahrung mit «Online-Streetwork«. Auch für das Netz gilt: unsere Aufgabe ist, mit Kommunikation, politische Aufklärung und sozialer Arbeit, Risikofaktoren für gewalttätigen Handeln zu minimieren und Schutz vor Gewalt zu organisieren. Prävention bedeutet immer auch: Zusammenhänge zu erhellen und Haltungen und Einstellungen zu verändern.
Herr Siebert, ich danke Ihnen für diesen Zwischenruf, wünsche Ihnen einen erfolg- und erkenntnisreichen digitalen Berliner Präventionstag in dieser Woche und bleiben Sie gesund.
https://www.berlin.de/lb/lkbgg/aktivitaeten/praeventionstage/2020/#programm
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