14. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger
Heute ist Mittwoch, der 8. April 2020. Ich bin Erich Marks und als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über ihr Interesse an unseren Zwischenrufen zur Prävention in Zeiten des Corona-Virus und von COVID-19.
Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger aus Oranienburg. Herr Rüdiger ist Kriminologe am Institut für Polizeiwissenschaft an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg und bezeichnet sich selbst als „Cyberkriminologen“
Herr Rüdiger, ich begrüße Sie herzlich und darf Sie zunächst fragen, welche Präventionsaspekte ihnen aktuell besonders wichtig erscheinen.
Gegenwärtig setze ich mich mit der primären Frage auseinander wie im digitalen Raum das Gefühl der Rechtsfreiheit gesenkt werden kann. Ich spreche in diesem Zusammenhang auch von einem Broken Web Phänomen, dass also die Masse an sichtbaren Normenüberschreitungen und das weitestgehende Fehlen einer sichtbaren Normenkontrolle, zu einem Gefühl der Rechtsfreiheit und damit wiederum zu einer Senkung der Hemmschwelle zur Tatbegehung führen kann.
Woran machen Sie das fest?
Dieser Aspekt kann u.a. daran erkannt werden, dass viele Täter bei digitalen Delikten offenbar nur eine geringe Angst vor Strafverfolgung haben. Wenn man hierbei die Dunkelzifferrelationen von rein analogen und digitalen Delikten vergleicht, haben Täter offenbar zu Recht nur eine geringe Angst, da viel weniger digitale als analoge Delikte aus dem Dunkelfeld ins das Hellfeld gelangen. Gleichzeitig haben wir im Netz auch eine Form von digitaler Kriminalitätstransparenz, die wir so im anlogen Raum kaum in dieser Form kennen. Vermutlich jeder Internetnutzer kennt die täglichen Phishing Emails, oder Anfragen von ominösen Profilen in Sozialen Medien, die letztlich häufig auch versuchte Betrugshandlungen darstellen. Viele werden dies als Normalität empfinden und kaum länger darüber nachdenken. Was bedeutet es aber, wenn Menschen täglich mit solchen Delikten im Netz konfrontiert werden?
Und was bedeutet das unter Präventionsgesichtspunkten?
Diese Grundsatzüberlegungen sind aus meiner Sicht unumgänglich, wenn man über eine Art digitale Generalprävention sprechen will. Also die Schaffung eines digitalen Raumes, der Risiken ähnlich minimiert wie gegenwärtig der Straßenverkehr. Hierfür muss man über die Vermittlung von Medienkompetenz durch Eltern, aber auch durch die Schulen an die Kinder sprechen, über die Erhöhung der Strafverfolgungswahrscheinlichkeit im Netz, beispielsweise über Formen von sichtbaren digitalen Polizeistreifen, aber auch über eine Anpassung des rechtlichen Rahmens – wie einen angepassten Jugendmedienschutz – sprechen. Mittelbar muss dann auch darüber gesprochen werden, wie überhaupt das Miteinander aller Altersstufen in einem globalen digitalen Raum – ohne wahrnehmbare physische Grenzen – gestaltet werden kann. Hierbei muss man auch bedenken, dass es keine Form des digitalen Dualismus, dass bedeutet aus meiner Sicht, dass sich Handlungen aus dem physischen auch auf den digitalen und umgekehrt auswirken kann. Wer also im Netz, eine geringe Hemmschwelle entwickelt könnte diese auch im physischen Raum haben.
Vor dem Hintergrund, dass Kinder heutzutage statistisch gesehen mehr Zeit im Netz verbringen als im physischen Raum, sind das Fragestellungen, die für eine digitale Generalprävention aus meiner Sicht dringend diskutiert werden müssen.
Was ist das zentrale Anliegen Ihres heutigen Zwischenrufes?
Der digitale Raum ist besonders geprägt von der Nutzung Sozialer Medien – also Programmen, die eine onlinebasierte Interaktion und Vernetzung der Menschen untereinander ermöglichen. Solche Programme reichen von Facebook und Twitter, über Instagram und TikTok bis zu Onlinegames wie Fortnite, aber auch Quizduell oder Brawlstars. Diese Medien ermöglichen faktisch eine Kommunikation von Menschen aller Altersstufen auf der gesamten Welt. Hierdurch hat sich auch eine Art globaler Kriminalitätsraum gebildet, denn Kriminalität entsteht ja häufig – und je nach Ausprägung – gerade aus Interaktionen zwischen Menschen. Bedingt durch die immer leistungsfähiger werdenden Übersetzungsprogramme, werden auch die Sprachgrenzen für Täter im Internet immer irrelevanter. So gibt es bereits heute Fälle in denen Täter bei Cybergrooming – also der onlinebasierten Anbahnung eines sexuellen Kindesmissbrauchs – nicht einmal die Sprache ihrer Opfer beherrschen, sondern über Übersetzungsprogramme auf die Kinder einwirken. Je mehr Zeit Kinder im digitalen Raum verbringen umso höher ist dabei das Risiko, dass sie auch mit digitalen Risiken und Delikten, wie das angesprochene Cybergrooming, aber auch sexuelle Belästigungen, digitaler Hasskriminalität, Cybermobbing und Co. konfrontiert werden. Bisher hat es die Gesellschaft aber nicht verstanden Kinder vor diesen Risiken im Internet hinreichend zu schützen. Vielmehr herrscht bis heute die grobe Vorstellung vor, dass der einzige Schutz von Kindern vor Risiken im digitalen Raum nur die Eltern darstellen können. Viele Eltern sind jedoch offenbar bereits heute mit dieser Herausforderung überfordert. Insbesondere in der jetzigen Situation, kann dies aber zu einem großen Problem werden, da davon ausgegangen werden kann, dass viele Kinder noch mehr Zeit im digitalen Raum verbringen werden als vorher. Eltern werden aber jetzt nicht einfach die Fähigkeiten oder die Zeit haben ihren Kindern eine entsprechend notwendige Medienkompetenz zu vermitteln, um diesen Risiken wenigstens ansatzweise zu begegnen.
Sie diagnostizieren also im Wesentlichen ein Elternversagen?
Leider muss auch davon ausgegangen werden, dass die Gesellschaft selbst keinen vermehrten Schutz von Kindern im digitalen Raum in dieser Situation umsetzen wird. Weder wird es mehr digitale Polizeipräsenz geben, noch werden Betreiber Sozialer Medien mehr Kinderschutz betreiben, obwohl dies eigentlich absolut notwendig wäre.
Dabei muss auch bedacht werden, dass es nicht nur darum gehen kann Minderjährige vor Viktimisierungen oder nur der Konfrontation mit diesen Delikten zu schützen. Leider ist es auch ein klar nachvollziehbarer Trend, dass bei digitalen Delikten immer häufiger Minderjährige selbst als Tatverdächtige in Erscheinung treten. Dies gilt insbesondere bei Sexual- aber auch Beleidigungsdelikten vor allem auch im schulischen Kontext. Teilweise kann hierbei auch angenommen werden, dass viele Minderjährige sich des Strafcharakters bzw. des Unrechtsgehalts ihrer Handlungen nicht immer bewusst sind. Hier fehlt es weitestgehend an flächendeckenden Aufklärungskampagnen, die auch in verständlicherweise Weise diese Themen an Kinder und Minderjährige vermitteln.
Obwohl diese Problematik nicht nur auf Eltern alleine ausgelagert werden darf – denn was würde dies für Kinder bedeuten, deren Eltern kein Interesse an ihren Kindern haben oder schlicht nicht die notwendigen Fähigkeiten besitzen – gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt doch keinen effektiveren Schutz für die Kinder, als ihre Eltern selbst. Diese müssen gerade in Zeiten in denen Kinder noch mehr Zeit im digitalen Raum verbringen, sich selbst intensiv mit Sozialen Medien und Onlinegames, den digitalen Risiken, aber auch den rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen um eine Art eigene Medienkompetenz zu erwerben und damit auch die ihrer Kinder zu erhöhen. Gleichzeitig erscheint es mir aber auch notwendig, dass vor allem die Sicherheitsbehörden jetzt auch ihre Ressourcen soweit es geht vermehrt in den digitalen Raum verlagern um diesen Entwicklungsprozessen auch zu begegnen.
Geschieht dies nicht in einem hinreichenden Maßstab, muss leider mit steigenden Viktimisierungs- aber auch Tatverdächtigenzahlen bei Minderjährigen in diesem Zusammenhang gerechnet werden.
Abschließend wäre ich Ihnen noch dankbar für eine kurze zusammenfassende Aussage zu Ihrem heutigen Zwischenruf.
Minderjährige werden jetzt vermutlich noch mehr Zeit im digitalen Raum verbringen werden, als dies bereits vorher der Fall war. Dies bedeutet aber auch, dass die Minderjährigen einerseits verstärkt mit den digitalen Risiken konfrontiert werden und andererseits auch vermehrt selbst digitale Delikte begehen können. Dabei waren bereits vorher weder die Gesellschaft noch die Eltern als solches hinreichend dazu in der Lage Kinder auf die Herausforderungen und Risiken dieses digitalen Raumes vorzubereiten. Dies zeigte sich in den letzten Jahren beispielsweise bei den steigenden Fall- und Konfrontationszahlen bei digitalen Delikten als auch bei den Fallzahlen minderjähriger Tatverdächtiger bei Cybergrooming, kinder- oder jugendpornografischen Delikten oder im Bereich von Beleidigungsdelikten. Daher ist es aus meiner Sicht jetzt unumgänglich, dass sich insbesondere Eltern intensiv mit der Mediennutzung ihrer Kinder, aber auch ihrer eigenen auseinandersetzen, um letztlich die Medienkompetenz zu erhöhen. Gleichzeitig erscheint es aber auch notwendig, dass die Sicherheitsbehörden Ressourcen genau dahin verschieben wo sich die Menschen jetzt vermehrt aufhalten, nämlich in den digitalen Raum.
Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger auf
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