29. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Prof. Dr. Britta Bannenberg

Prof. Dr. Britta Bannenberg
Justus-Liebig-Universität Gießen
Erich Marks
DPT – Deutscher Präventionstag

Heute ist Samstag, der 20. Juli 2020. Ich bin Erich Marks und als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über Ihr Interesse an unseren Zwischenrufen zur Prävention.
Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon die Juristin und Kriminologin Prof. Dr. Britta Bannenberg. Sie hat den Lehrstuhl für Kriminologie der Universität Gießen innen und zu ihren primären Forschungsschwerpunkten gehören die Themen Amok, Terror und Tötungsdelikte; Gewalt; Organisierte Kriminalität; Hate Crime, Kriminalprävention; Opferforschung; Korruption und Wirtschaftskriminalität.
Frau Bannenberg, ich grüße Sie herzlich, danke Ihnen für Ihre Bereitschaft zu diesem Zwischenruf und darf Sie zunächst fragen, welche Herausforderungen für die Gewalt- und Präventionsarbeit Ihnen aktuell besonders wichtig erscheinen.
In den Corona-Zeiten zeigt sich aus meiner Sicht ein Problem, das unbedingt angegangen werden muss: Bessere Tataufklärung und Straftatenverfolgung im Bereich Cybercrime. Dazu zählt auch eine höhere Sensibilität in der Bevölkerung, sei es in privaten Angelegenheiten, wie auch bei Behörden, Unternehmen und Institutionen. Der weite Bereich der Internetkriminalität umfasst sehr verschiedene Straftaten und unsere Aufmerksamkeit richtet sich bisher – mehr oder weniger gut und mehr oder weniger ernsthaft bis genervt – auf den Datenschutz. Wirklich bewusst wird vielen die Verletzlichkeit unseres modernen Lebens aber erst dann, wenn Schaden angerichtet ist. Das Computer-Virus, das keinen Schaden anrichtet, mag etwas lästig sein, die gestohlene Identität, mit der gestohlene Waren transportiert werden, ist schon etwas anderes (wenn es denn überhaupt aufgedeckt wird). An der Justus-Liebig-Universität Gießen waren wir im Dezember 2019 von einem großen Hacker-Angriff betroffen und die gesamte IT wurde vom Netz genommen. Die Folgen sind bis heute spürbar und es ging trotzdem noch glimpflich ab: Keine Daten wurden gelöscht oder abgegriffen, so weit man weiß und merkt. Eine Universität kann wie eine von einem Hackerangriff betroffene Stadt gar nicht leugnen, dass sie Opfer einer – von wem auch immer ausgeführten – Attacke dieser Art wurde. Mittlerweile haben eine ganze Reihe von Institutionen diese bittere Erfahrung machen müssen. Im gleichen Zeitraum wurden etliche große und kleine Unternehmen, Arztpraxen und Selbstständige ebenfalls Opfer von Hackerangriffen, teilweise mit bösen Folgen, indem die komplette Datenbank zerstört oder gestohlen wurde. Davon hört man nichts. Die Betroffenen zeigen nicht an, um keine Reputationsschäden zu erleiden. Für Kriminologen ist das nicht überraschend, ein Dunkelfeld gibt es immer und hier gibt es starke Interessen an einer Nichtanzeige. Ob jedem auch nur die rudimentären Empfehlungen zum Schutz der Computer durch das BSI etwa bekannt sind und waren, kann bezweifelt werden. An der Umsetzung besserer Schutzmaßnahmen dürfte es weitgehend fehlen.

Was ist das zentrale Anliegen Ihres heutigen Zwischenrufes?
Geht der vom Ebay-Betrug betroffene Bürger zur Polizei, erlebt er Erstaunliches: In der Regel wird er abgewimmelt, vielleicht noch kritisch gefragt, warum er denn unbedingt etwas auf Ebay kaufen oder verkaufen müsse. Die Aufklärung leidet an strukturellen Defiziten. Die Polizeibehörden müssen hier genauso dringend aufrüsten und die notwendigen Kenntnisse vermitteln wie die Justiz. Ob der aufgeklärte Betrug, Identitätsdiebstahl – oder auch die eine oder andere sonstige Internetstraftat (Hate Crime, Bedrohung, Beleidigung unflätigster Art...) überhaupt von der Justiz sanktioniert wird, kann meistens bezweifelt werden und das ahnen die Bürger auch. Nicht nur wegen der vergleichsweise geringen Tatschuld und -schwere, die eine Verfahrenseinstellung nach sich zieht, sondern auch wegen hier gar nicht vorhandener Kompetenzen zur Beweiswürdigung und Einschätzung der Vorgehensweisen der Täter.
Schaut man sich die Polizeiliche Kriminalstatistik der letzten 10 – 15 Jahre so an, dann sinken die traditionell stark verbreiteten Deliktsbereiche Diebstahl und Betrug so langsam unter 50 % aller Delikte. Die Internetkriminalität blüht dagegen und wird nicht ermittelt, nicht erfasst und ist somit offiziell kaum vorhanden.

Darf ich Sie abschließend noch um eine kurze zusammenfassende Aussage zu Ihrem heutigen Anliegen bitten:
Ob man bei diesem Umstand – gerade die steigenden Internetaktivitäten jeder Art in Corona-Zeiten dürften für gravierende Anstiege im Dunkelfeld sprechen – den Tätern auch nur ansatzweise auf die Spur kommt, darf bezweifelt werden. Wenn nicht einmal der Einzelfall gut ermittelt wird, kann erst recht nicht davon ausgegangen werden, dass organisiert kriminelle Gruppen enttarnt, aus dem Verkehr gezogen und sanktioniert werden. Die Organisierte Kriminalität als Kontrollkriminalität ist ein weiterer brach liegender Bereich strafrechtlicher Ermittlungen in Deutschland. Dabei zeigt allein das Beispiel Cybercrime, dass Täter hier von beiden Seiten Aufklärungsdruck verspüren könnten:
Durch anzeigende Bürgerinnen und Bürger auf der einen und gut ausgestattete OK-Dienststellen (die kaum existieren) auf der anderen Seite. Damit ist in diesem Bereich der Kriminalität die ohnehin kleine abschreckende Wirkung des Strafrechts durch Entdeckungswahrscheinlichkeit kaum gegeben. Die gesellschaftliche Entwicklung wird aber dazu führen, dass sehr viele Bereiche des täglichen Lebens vom Internet abhängig werden. Darauf ist präventiv und repressiv zu reagieren und das muss uns allen klar werden.

Frau Bannenberg, haben Sie herzlichen Dank für diesen Zwischenruf und bleiben Sie gesund.

Professur für Kriminologie der Universität Gießen


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