35. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Prof. Dr. Gina Wollinger

Erich Marks
DPT – Deutscher Präventionstag
Gina Rosa Wollinger
Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW

Heute ist Montag, der 31. August 2020. Ich bin Erich Marks und als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über Ihr Interesse an unseren Zwischenrufen zur Prävention.

Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon Frau Professorin Dr. Gina Rosa Wollinger. Nach viel beachteten Forschungen zum Wohnungseinbruch am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) ist Frau Wollinger als Soziologin und Kriminologin seit 2018 Professorin an der Hochschule für Polizei und Verwaltung NRW in Köln.

Frau Wollinger, ich grüße Sie herzlich, danke Ihnen für Ihre Bereitschaft zu diesem Zwischenruf und darf Sie zunächst nach Ihrem Verständnis zu Fake News fragen, die bei Ihnen heute im Mittelpunkt stehen sollen.
Mit dem Begriff Fake News werden Nachrichten bezeichnet, die falsch oder irreführend sind und bei denen der/die Verfasser/in der Nachricht einen Mangel an Wahrhaftigkeit aufweist, d.h., er/sie hat entweder bewusst die Unwahrheit gesagt oder für sie/ihn ist es nicht relevant, ob die Nachricht wahr ist.

Das Phänomen Fake News ist nicht neu, so gibt es Beispiele von Fake News die aus der Antike stammen. Neu sind jedoch die Dimension und die Auswirkungen von Fake News, welche durch Digitalisierung, soziale Medien und „Demokratisierung medialer Nachrichtenverbreitung“ ermöglicht wurden. Fake News sind nicht gleich zu setzen mit Verschwörungsfantasien, oftmals wirken sie jedoch zusammen, indem Fake News Verschwörungsfantasien bestärken können und verschwörungstheoretische Einstellungen wiederum anfällig für das Rezipieren von Fake News machen.

Was haben nun Fake News mit Kriminalität zu tun?
In den letzten Jahren sind vor allem Fake News mit politischem Hintergrund diskutiert worden, wie beispielsweise im Kontext des Brexits und der Amtsausübung von Donald Trump. Fake News wirken sich jedoch nicht nur auf politische Diskussionen und Felder aus, vielmehr scheinen Falschmeldungen auf zweierlei Weise auch kriminologisch relevant zu sein und während der Corona-Pandemie besonders virulent.

Zum einen existieren Fake News, die nicht durch (macht-)politische Motivation entstanden sind, sondern explizit zur Kriminalitätsbegehung aufgestellt werden. Hierbei handelt es sich beispielsweise um Falschmeldungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in Bezug auf Behandlungs- und Schutzmöglichkeiten (Fakeshops, falsche Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel bis hin zu Phishingmails). Fake News sind somit zu einem modus operandi geworden.

Zum anderen haben jedoch auch politisch motivierte Fake News Auswirkungen auf Kriminalitätsentstehung. Immer wieder gab es Vorfälle, in/bei denen aufgrund von Fake News quasi Selbstjustiz geübt  und vermeintliche Täter angegriffen wurden. Zu Zeiten von Corona zeigt sich jedoch, dass Fake News mit (eher) politischem Hintergrund auch dazu führen, dass Menschen in den Anti-Corona-Maßnahmen Unterdrückung und unzulässigen Grundrechtseingriffe sehen, was wiederum u.a. dazu führt, dass Corona-Schutzverordnungen missachtet werden. Beispiele hierfür finden sich in den Demonstrationen der letzten Wochen gegen die Anti-Corona-Maßnahmen. Etwas salopp gesagt: Ordnungswidrigkeiten werden plötzlich kriminologisch relevant (und interessant). Denn in der Begehung von Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit den Corona-Schutzmaßnahmen kommt eine Gemengelage von Verschwörungsannahmen, Fake News und Angst zum Ausdruck, die auf ein Problem der Demokratie und des Verhältnisses zwischen Bürger/in und Staat hinweisen und sich in abweichenden Verhalten ausdrücken. Dass es bei diesen Demonstrationen nicht nur um eine andere Einschätzung zur Bekämpfung der Pandemie geht, wird deutlich, wenn die einzelnen Akteursgruppen betrachtet werden. Unter den Demonstrierenden befanden sich nach Medienberichterstattung besonders viele Gruppierungen, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind oder sogenannten Verschwörungstheorien anhängen, welche generell ebenso eher Bezüge zu rechten Weltbildern aufweisen, wie die sogenannten Reichsbürger oder querdenken 711.

Dieser Umstand weist noch einen weiteren Bezug aktueller Kriminalitätsphänomene auf: Die Zunahme rechtsmotivierter Straftaten. Während Kriminalität insgesamt seit einigen Jahren rückläufig ist und auch Gewalt- und Straßenkriminalität sinkt, werden polizeilich deutlich vermehrt Straftaten mit rechtsideologischen Hintergründen verzeichnet.

In der aktuellen Kriminalitätssituation drückt sich somit nicht nur eine Verschiebung von Tatgelegenheiten aus, welche im Sinne von Routine Activity Theory oder Situational Action Theory greifbar ist, sondern auch eine Gemengelage von Marginalisierungsgefühlen, Einfluss von (Rechts-)Populismus und Problemen im öffentlichen Diskurs bzw. der Wahrheitsfindung, welche u.a. durch Falschmeldungen eine gefährliche Dynamik erhalten. Die signifikante Zunahme von Selbstbewaffnung (und der Beantragung des Kleinen Waffenscheins) könnte ebenso im Kontext dieser Entwicklung verstanden werden.

Wo sehen Sie insbesondere Ansätze für Prävention im Zusammenhang von Fake News und Kriminalität?
Hinsichtlich der Prävention der skizzierten Phänomenbereiche kommen verschiedene Handlungsfelder in Betracht. Bezogen auf den erstgenannten Kontext, Fake News zur Ermöglichung von Kriminalität (Warenbetrug, Phishing etc.), zeigt sich der wohl geeignetste Ansatz von Kriminalprävention in der Aufklärung der Bevölkerung über das Tatvorgehen. Insofern ist das kriminalpräventive Handeln wie auch bei anderen Betrugsdelikten, z.B. dem sogenannten Enkeltrickbetrug, weniger auf das Einwirken auf den/die Täter/in als vielmehr auf die Sensibilisierung potentieller Opfer fokussiert.

Hinsichtlich der Kriminalität im Zusammenhang mit politisch motivierten Fake News sind präventive Ansätze sicherlich komplexer und vielschichtiger. Zum einen versuchen Medien wie beispielsweise die ARD mit sogenannten Faktenchecks Falschmeldungen zu entlarven und mit fundierten Aussagen sich der Komplexität verschiedener Themen zu nähern. Dies ist sicherlich ein wichtiger Baustein. Allerdings ist die Reichweite solcher Faktenchecks begrenzt und kann sogar genau das Gegenteil bewirken (auch „Backfire“-Phänomen genannt), indem sich Menschen, die Fake News anhängen, gerade dadurch in ihrem Weltbild bestätigt sehen, dass andere sich (vermeintlich) rechtfertigen. Der Dialog ist schwierig, dennoch notwendig, da es keine Alternativen zu geben scheint.

Für diesen Dialog bzw. die Diskussion in der Öffentlichkeit ist es dabei zum einen wichtig, dass Fake News nicht ständig wiederholt werden, auch wenn es darum geht, sie zu widerlegen. Aufgrund des sogenannten Bestätigungsfehlers (oft Gehörtes ist bekannt und was uns bekannt ist, glauben wir eher) bietet dies der Verbreitung von Fake News eine weitere Plattform. Zum anderen ist es aber auch wichtig, dass die Diskussion neben Politikern/innen und Journalisten/innen ebenso durch Fachleute aus der Kriminalprävention, sowohl aus der Praxis als auch aus der Wissenschaft, getragen wird. Es ist auch ihre Aufgabe zu vermitteln, auf welchen Erkenntnissen Einschätzungen über die Kriminalitätssituation in Deutschland basieren und wie es um diese gegenwärtig steht.

Frau Wollinger, haben Sie vielen Dank für Ihren aktuellen Zwischenruf und bleiben Sie gesund.

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN)
Hochschule für Polizei und Verwaltung NRW


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