17.11.2022

Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärken

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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DJI stellten bei der Jahrestagung am 8. und 9. November 2022 aktuelle Forschungsergebnisse und -projekte vor

Die COVID-19 Pandemie hat insbesondere die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mitunter stark beeinträchtigt und soziale Unterschiede verschärft. Dies zeigt sich auch an wichtigen Weichenstellungen in Bildungsverläufen, wie zum Beispiel am Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule und von der Schule in die Ausbildung. Die wissenschaftliche Jahrestagung 2022 des Deutschen Jugendinstituts (DJI) am 8. und 9. November 2022 in Berlin befasst sich mit Risiken für junge Menschen in verschiedenen Lebensphasen und mit wirksamer Prävention vor sich verstetigender Benachteiligung – von der Familie über die Kita und die offene Jugendarbeit bis zum Internet.

„Viele junge Menschen und ihre Eltern haben in den letzten Jahren stark unter den Einschränkungen der Pandemie gelitten. Deshalb gilt es nun, das Thema psychische Gesundheit in allen Bildungsangeboten aufzugreifen – in den Kitas, in den Schulen und auch in der Kinder- und Jugendhilfe“, sagt DJI-Direktorin Prof. Dr. Sabine Walper. „In der Forschung untersuchen wir, ob sie die Alltags-, Gesundheits- und digitalen Kompetenzen haben, die sie für ein gesundes Aufwachsen benötigen und entwickeln Ansätze, diese zu stärken“. Sabine Walper hält den Eröffnungsvortrag der wissenschaftlichen Jahrestagung des DJI und tauscht sich mit Ekin Deligöz, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in einem Podiumsgespräch darüber aus, wie Forschung für politische Entscheidungen nutzbar gemacht werden kann.

Die im Folgenden ausgewählten Forschungsergebnisse, die neben vielen weiteren auf der DJI-Jahrestagung präsentiert werden, geben anhand empirischer Daten wichtige Impulse für Politik und Praxis.

Verhaltensprobleme bei Kindern und Jugendlichen haben erneut zugenommen

Wie das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen während der COVID-19 Pandemie beeinträchtig wurde und immer noch beeinträchtigt wird, zeigen Daten aus der DJI-Studie „Kind sein in Zeiten von Corona“ und neue Auswertungen des DJI-Surveys „Aufwachsen in Deutschland: AIltagswelten“, kurz AID:A. Bei den 3- bis 17-Jährigen haben während der Pandemie im Jahr 2020 und erneut im Herbst 2021, also lange nach den strikten Lockdowns, Verhaltensprobleme zugenommen. Mehr emotionale Reaktionen wie Weinen, Rückzug, Kopf- und Bauchmerzen, Probleme mit Gleichaltrigen, Hyperaktivität und Konzentrations­schwierigkeiten stellen die befragten Eltern bei ihren Kindern im Vergleich zur Befragung vor Corona im Jahr 2019 fest.

Dies betrifft diejenigen jungen Menschen am stärksten, die bereits zuvor benachteiligt waren, weil ihre Eltern finanziell belastet sind, über einen geringeren Bildungsabschluss verfügen, oder einen Migrationshintergrund haben und deshalb mit der deutschen Sprache und dem Bildungssystem hierzulande weniger vertraut sind. „Da für die Bewältigung emotionaler Probleme insbesondere bei jüngeren Kindern die Eltern eine wichtige Rolle spielen, kommt die Benachteiligung hier doppelt zum Tragen“, sagt DJI-Wissenschaftlerin und Studienleiterin Dr. Alexandra Langmeyer. Deshalb plädiert die Leiterin der Fachgruppe „Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern“ für eine gezielte Entlastung von benachteiligten Familien und den Ausbau der Familienhilfe.

Trotz Anstrengungen werden Familien in prekären Lebenslagen an Grundschulen kaum erreicht

Wie schwierig es ist, benachteiligte Familien zu erreichen, zeigt auch die soeben veröffentlichte DJI-Studie „Zusammenhänge zwischen prekären Lebenslagen und Bildungsverläufen“ zum Übergang von Grundschul­kindern auf weiter­führende Schulen. Im Rahmen der Studie wurden Schulleitungen, Lehrkräfte und Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter an vier Münchner Grundschulen unter anderem zur Gestaltung des Übertritts und zur Zusammenarbeit mit finanziell belasteten Familien befragt. Eltern und Kinder gaben Auskunft zu ihren Bildungszielen, ihrer Lebenslage sowie zur Kenntnis und Nutzung von unterstützenden Angeboten.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich Kinder aus diesen Familien zwar häufig einen Übertritt auf die Realschule oder das Gymnasium wünschten und ihre Eltern eignen Angaben nach versuchten, sie dabei zu unterstützen. Sie stießen dabei jedoch an ihre Grenzen, unter anderem aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, fehlendem Wissen über die für den Übertritt aufs Gymnasium zu erbringenden Leistungen und erschwertem Zugang zu Übungsmaterialien und Nachhilfe. Die Kinder erreichten den gewünschten Übertritt letztlich nicht oder nur schwer, obwohl seitens der Schulen Anstrengungen unternommen wurde, auch Kinder aus finanziell belasteten Familien zu erreichen.

Die Interviews mit den Befragten geben Aufschlüsse über die Hintergründe der mangelnden Zusammenarbeit: So beklagten die Schulakteure, die Eltern nicht zu erreichen. Diese fühlten sich wiederum mit den schulischen Anforderungen alleingelassen. Armut und Ressourcenknappheit bei den Familien wurde häufig nicht wahrgenommen und die Familien gingen aus Angst vor Stigmatisierung nicht offen damit um. Zudem fehlten aus Sicht der Lehrkräfte und der Eltern unterrichtsbezogene und lernunterstützende Angebote wie Nachhilfe, Förder- und Sprachkurse.

„Letztlich kann nur sichergestellt werden, dass die Angebote zur Förderung der Kinder genutzt werden, wenn sie für möglichst alle Kinder verfügbar sind“, konstatieren die Studienleiterinnen Dr. Claudia Zerle-Elsäßer und Dr. Christine Steiner. Sie empfehlen daher beispielsweise Standardangebote zur Förderung an Schulen zu etablieren, außerunterrichtliche Angebote stärker mit dem Fachunterricht zu verbinden sowie eine intensivere Vernetzung der Schulen mit der Jugendsozialarbeit, Horten, Vereinen, anderen Schulen und auch Migranten-Selbstorganisationen im jeweiligen Sozialraum.

Berufswahlprozesse wurden in Pandemiezeiten verzögert

Eine wichtige Weiche in der Bildungsbiografie junger Menschen ist auch der Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf. DJI-Forschende untersuchten, wie sich Übergangswege bei Jugendlichen an Haupt- und Realschulen durch die Pandemie verändert haben, indem sie Befragungsdaten zweier Kohorten vor und während Corona miteinander verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass Berufswahlprozesse in Pandemiezeiten verzögert wurden: Während die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen abnahm, stieg der Anteil an Jugendlichen, der eine weiterführende Schule besuchte.

Gleichzeitig trafen die jungen Menschen die Übergangsentscheidung weniger selbstbestimmt: Der Anteil derjenigen, der diese Wahl als Notlösung bezeichnete, hat sich in der Corona-Kohorte verdoppelt. Mehr Autonomie und Kontinuität im Berufswahlprozess empfanden hingegen diejenigen, die einen konkreten Berufswunsch und Wissen über Berufe hatten. „Folglich sind bei der individuellen Bewältigung der Krise gerade persönliche Ressourcen entscheidend“, erklärt DJI-Wissenschaftler Dr. Frank Tillmann, der zusammen mit Irene Hofmann-Lun und Dr. Karen Hemming die Analysen vornahm.

Die Studie zeigt auch, dass die Schulleistungen bei vielen Jugendlichen nachgelassen haben und sich mehr als jeder dritte junge Mensch an Haupt- und Realschulen an der Schwelle des Übergangs ins Berufsleben Sorgen über seine Zukunft macht. Während der Corona-Pandemie betraf dies überproportional Mädchen und Jugendliche mit Migrationshintergrund, die beim Online-Unterricht verstärkt auf Sprachbarrieren stießen. „Dadurch kam es während der Pandemie zu einer Verstärkung der Bildungsbenachteiligung“, sagt Dr. Frank Tillmann. Gleichzeitig zeige sich auch an dieser Stelle der große Einfluss von persönlichen Ressourcen wie eine gefestigte berufliche Perspektive und Wissen über Ausbildungsberufe. „Diese Kompetenzen müssen künftig gezielter bei den Jugendlichen gefördert werden“, empfiehlt Tillmann.

Ein Service des deutschen Präventionstages.
www.praeventionstag.de

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