09.06.2024

Zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus #13

Antisemitische Allianzen nach dem 7. Oktober: Berührungsängste zwischen Islamisten und Antiimperialisten nehmen ab

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Seit dem tödlichsten Angriff auf jüdisches Leben seit der Shoah am 7. Oktober erreicht der offene Antisemitismus auch in Deutschland eine beispiellose Qualität. Dabei nehmen die Berührungsängste zwischen islamistischen, antiimperialistischen und sich selbst als progressiv verstehenden Milieus ab. Im Zuge dessen wird Islamismus verharmlost und israelbezogener Antisemitismus verbreitet. Es kommt zu einer folgenschweren Radikalisierung, die insbesondere eine Bedrohung für Jüdinnen und Juden ist. Zu diesem Ergebnis kommt das Zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus, das die Amadeu Antonio Stiftung am 06.06.2024 in der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt hat.

Der Tag, an dem palästinensische Terroristen unter Führung der Hamas rund 1.200 Menschen ermordeten und 250 als Geiseln nach Gaza verschleppten, wird von diversen islamistischen oder antiimperialistischen Gruppierungen verharmlost und verherrlicht. Seitdem werden global immer häufiger jüdische und als „zionistisch“ identifizierte Einrichtungen und Personen als Feinde markiert und angegriffen. Kultureinrichtungen und Geschäfte werden mit roten Dreiecken beschmiert, ein Symbol, dass von der islamistischen Hamas genutzt wird, um auf diese Art Feinde und mögliche Anschlagsziele zu kennzeichnen. Demonstrationen fordern seit Wochen eine globale Intifada. Was lange ein eindeutig islamistischer Aufruf zum Terror und zur Gewalt war, wurde zur scheinbar legitimen Forderung in aktivistischen Milieus. Selbst im Rahmen von Universitäts-Besetzungen werden mittlerweile islamistische Graffiti gesprüht.

Enthemmung antisemitischer Parolen in Gewalt
Dieser alarmierende Trend zeigte sich schon eine Woche nach dem 7. Oktober bei einer Demonstration auf dem Berliner Potsdamer Platz: Antiisraelische Demonstrant*innen skandierten Hamas-Parolen auf Arabisch, es kam zu gewaltvollen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Später wurde gegen die Scheibe eines benachbarten jüdischen Restaurants getreten und gespuckt. Berlinweit kam es am selben Abend zu aufgemalten Davidsternen und israelfeindlichen Parolen vor Wohnhäusern. Seither wurden immer wieder Jüdinnen und Juden auch körperlich angegriffen. Die Enthemmung antisemitischer Parolen mündet letztendlich in Gewalt.

Steigbügelhalter für Islamismus
Insbesondere sich als progressiv verstehende Gruppen aus dem antiimperialistischen Spektrum fungieren als Steigbügelhalter für Islamismus und Terrorverherrlichung, sie nehmen eine gefährliche Scharnierfunktion ein. Das zeigte sich exemplarisch beim sogenannten „Palästina-Kongress“ in Berlin, der vom 12. bis 14. April stattfinden sollte, aber von der Polizei kurz nach Beginn aufgelöst wurde. Der Kongress wurde von antiimperialistischen Gruppierungen beworben und organisiert, sprechen sollten Personen, die der Hamas oder der PFLP nahestehen – beides Terrorgruppen, die an dem Anschlag vom 7. Oktober gegen israelische Zivilist*innen beteiligt waren.

“Es ist unfassbar, dass islamistische Akteure von vielen inzwischen als legitime politische Partner gesehen werden”, sagt Tahera Ameer“Das können wir als demokratische Zivilgesellschaft nicht unwidersprochen lassen. Wir brauchen eine Brandmauer gegen jeden Antisemitismus, auch innerhalb vermeintlich progressiver Milieus.”

Die Amadeu Antonio Stiftung warnt vor dem Schulterschluss zwischen islamistischen und antiimperialistischen Akteuren, die in ihrer antizionistischen Ideologie vereint sind. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass diese Allianzen zu blankem Antisemitismus führen. Das stellt seit Monaten eine bedrohliche und gefährliche Situation für Jüdinnen und Juden in Deutschland dar, die droht auf kurz oder lang in Terror gegen Juden umzuschlagen.

Im Lagebild der Amadeu Antonio Stiftung berichten auch die Neuköllner Integrationsbeauftragte Güner Balci und der Duisburger Pädagoge Burak Yilmaz von den Radikalisierungsprozessen, die sie in ihrer Arbeit erleben. Balci sagt im Interview: “Jahrzehntelang wurde das Problem nicht nur verschlafen, sondern ignoriert. Es gab eine Gleichgültigkeit gegenüber diesem Erstarken von Antisemitismus im Alltag.” Yilmaz fordert mehr Investitionen in Bildung und pädagogische Angebote, die längerfristig angedacht sind und sich auch an Eltern richten: “Wir müssen diese Gefahr endlich ernst nehmen. Aber stattdessen fördert man gerne muslimische Bewegungen, die den Muslimbrüdern inhaltlich nahestehen und ihre Ideologie verbreiten.”

Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, zeigt sich über die Ergebnisse des Lagebilds alarmiert: “Antisemitismus existiert in praktisch allen Teilen unserer Gesellschaft. Er fungiert dabei oft als schmieriger Kitt zwischen ganz unterschiedlichen extremistischen Ideologien. Bei der Bekämpfung dürfen wir aber keinen Unterschied dabei machen, woher Judenhass kommt: Antisemitismus ist und bleibt unvereinbar mit unserer Demokratie. Auch Judenfeindlichkeit, die unter dem Deckmantel eines Menschenrechtsaktivismus verbreitet wird, dürfen wir nicht akzeptieren.”

Für Ariel Elbert, Vorstand von Keshet Deutschland, einem queer-jüdischen Verein, ist die Bedrohungslage seit dem 7. Oktober zum bitteren Alltag geworden: “Für Jüdinnen*Juden ist die Lage seit dem 7. Oktober desolat. Mit dem Anstieg von Antisemitismus in der Gesellschaft vermeiden immer mehr Jüdinnen*Juden öffentliche Räume. Straßen und Orte, an denen Hamas-Slogans prangen, sind eine klare Drohung an jüdisches Leben – und sie wird verstanden.”

 

Ein Service des deutschen Präventionstages.
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