DPT-TV Aktuell (80)
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In der aktuellen 80. Sendung vom 7. Februar 2024 steht das diesjährige Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus am 31. Januar 2024 im Mittelpunkt. In der Täglichen Präventions-News vom 4. Februar haben wir bereits auf die Texte der Rednerinnen und Redner hingewiesen; heute möchten wir auf die Video-Dokumentation der Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag verlinken und verbinden damit die Empfehlung diese nicht nur die berührenden Reden zu sehen und zu hören, sondern sie auch proaktiv im Kreise der Familien sowie in Nachbarschaften, Freundschaften und Im beruflichen Umfeld zu teilen.
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw05-gedenkstunde-988116
Auf der Dokumentationsseite der Gedenkveranstaltung schreibt der Deutsche Bundestag u.a.:
"Wer schweigt, mache sich mitschuldig. Mit diesen Worten hat die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi am Mittwoch, 31. Januar 2024, angesichts der jüngsten Zunahme judenfeindlicher Vorfälle in Deutschland zu mehr Engagement im Kampf gegen Antisemitismus und Menschenhass aufgerufen. In der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus hielt sie ein eindringliches Plädoyer gegen das Vergessen und für mehr Menschlichkeit und Empathie. „Die Shoah begann nicht mit Auschwitz“, mahnte die 91-Jährige, die als Kind das Vernichtungslager der Nationalsozialisten überlebte. „Sie begann mit Worten. Sie begann mit dem Schweigen und dem Wegschauen der Gesellschaft.“
Die Erinnerung wachhalten
Jedes Jahr erinnert der Bundestag am oder um den 27. Januar an die Millionen Menschen, die dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Anlass ist die Befreiung der Auschwitz-Überlebenden 1945. 79 Jahre nach dem Tag ihrer Rettung durch Soldaten der Roten Armee stand die diesjährige Gedenkstunde im Zeichen der generationenübergreifenden Aufarbeitung des Holocaust.
„Wie kann man weiterleben, wenn man Auschwitz erlebt hat? Wie kann und soll man die eigene Erinnerung an den Holocaust weitergeben? Wie geht man als Kind oder Enkel mit dem Schmerz der Eltern und Großeltern um?“, fragte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu Beginn ihrer Begrüßungsansprache. Weil immer weniger Zeitzeugen selbst über ihre Erlebnisse berichten können, komme es auf die nachfolgenden Generationen an, die Erinnerung an die deutschen Verbrechen wachzuhalten und entschlossen Hass und Menschenfeindlichkeit entgegenzutreten, sagte Bas.
Mehrere Generationen im Gedenken vereint
Und so waren auch während der Gedenkfeier im Bundestag mehrere Generationen vereint. Zeitzeugin Eva Szepesi und der 1949 in Polen geborene Sportjournalist Marcel Reif, Sohn eines Holocaust-Überlebenden, hielten als Repräsentanten der sogenannten ersten und zweiten Generation die Gedenkreden.
Außer Vertretern aller Verfassungsorgane – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig und Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts Doris König – und zahlreicher Ehrengäste, etwa die Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer und Charlotte Knobloch sowie der israelische Botschafter Ron Prosor, waren auch die Familien der Gastredner gekommen ebenso die Teilnehmer der diesjährigen Jugendbegegnung des Bundestages, um gemeinsam der Opfer und Überlebenden zu gedenken.
Das generationenübergreifende Erinnern fand sich auch in der Musik wieder: Studentinnen und Studenten der Universität der Künste Berlin trugen während der Gedenkstunde Stücke von Ferenc Weisz (1893 bis 1944), Günter Raphael (1903 bis 1960) und Rosy Wertheim (1903 bis 1960) vor, Künstlerinnen und Künstler, die von den Nationalsozialisten verfolgt oder ermordet wurden.
„Für die sprechen, die nicht mehr sprechen können“
Eva Szepesi gehört zu den wenigen Kindern, die den Gaskammern und Todesmärschen der Nazis entkamen. Geboren 1932 als Tochter jüdischer Eltern in Budapest, wurde sie als junges Mädchen nach Auschwitz deportiert. Über ihre Erfahrungen im Holocaust konnte sie lange nicht reden. Erst ein halbes Jahrhundert nach ihrer Befreiung brach sie ihr Schweigen und engagiert sich seitdem gegen Hass und Antisemitismus.
Es sei zu ihrer Lebensaufgabe geworden, „für die zu sprechen, die nicht mehr sprechen können“, sagte sie im Bundestag und schilderte mit ergreifenden Worten die fortschreitende Diskriminierung, der sie als Jüdin in ihrer Heimat ausgesetzt war: „Ich musste meine geliebten Haustiere abgeben – nur weil ich Jüdin bin. Ich durfte nicht mehr ins Schwimmbad – nur weil ich Jüdin bin. Ich spürte die Ausgrenzung in meiner Schule, auch von meinen besten Freunden, –nur weil ich Jüdin bin.“
Sie berichtete von ihrer Flucht in die Slowakei. Allein, ohne ihre Eltern und ihren Bruder, die sie nie wiedersah. Davon, wie die Nazis sie dennoch aufspürten, und von dem unvorstellbaren Leid, das sie als Kind im Konzentrationslager erfuhr.
„Ihr habt Verantwortung für das, was jetzt passiert“
Heute stehe sie im Bundestag, um Zeugnis abzulegen. Nie sei das wichtiger gewesen als jetzt, ist die 91-Jährige überzeugt, denn: „Nie wieder ist jetzt!“ sagte sie energisch und warnte eindringlich vor dem erstarkenden Antisemitismus in Deutschland seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. „Es schmerzt mich, wenn Schüler jetzt wieder Angst haben in die Schule zu gehen – nur weil sie Juden sind. Es schmerzt mich, wenn meine Urenkel immer noch von Polizisten mit Maschinengewehren beschützt werden müssen – nur weil sie Juden sind.“
Es sei deshalb ihr Wunsch, „dass nicht nur an den Gedenktagen an die toten Juden erinnert wird, sondern auch im Alltag an die Lebenden“. Anerkennend äußerte sie sich zu den Hunderttausenden, die in den vergangenen Wochen wiederholt in ganz Deutschland auf die Straße gegangen waren, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Allerdings dürfe die Gesellschaft auch im Alltag nicht wegschauen, mahnte sie und appellierte an die Demonstranten, auch im Bekanntenkreis und am Arbeitsplatz laut zu widersprechen, wenn antisemitische Äußerungen fallen. „Ich sage immer zu den Menschen, mit denen ich spreche: Ihr habt keine Schuld für das, was passiert ist. Aber ihr habt die Verantwortung für das, was jetzt passiert.“
Der warme Mantel des Schweigens
Menschen wie Eva Szepesi hätten Deutschland eine zweite Chance gegeben, ist Marcel Reif überzeugt. Eine Chance, „es anders, besser, richtig zu machen“, sagte er in seiner Gedenkrede. Aber diese Chance dürfe „niemals und nirgends“ vertan werden, so der 74-Jährige. Das ‚Nie wieder!‘ müsse „gelebte, unverrückbare Wirklichkeit“ sein.
Reif gehört zur Nachfolge-Generation. Sein jüdischer Vater überlebte den Holocaust nur knapp, nachdem er in letzter Sekunde aus einem Deportationszug gerettet wurde. Viele andere Familienmitglieder wurden ermordet. Über die traumatischen Erlebnisse dieser Zeit habe sein Vater nie mit ihm gesprochen, berichtete Reif im Bundestag. Und er hatte nie gefragt. „Viel zu gern hatte ich als Kind und junger Mann diesen warmen, kuscheligen Mantel seines Schweigens angenommen, mich darin eingerichtet mit den Sorgen und Problemen eines Nachkriegs-Wirtschaftswunder-Sprößlings.“ Erst nach dem Tod des Vaters habe er von seiner Mutter die ganze Geschichte erfahren.
Das Vermächtnis seines Vaters
Für das Schweigen sei er seinem Vater heute dankbar, sagt Reif, habe es ihm doch ein unbeschwertes Aufwachsen in Deutschland ermöglicht. Im Land der Täter, wohin die Familie in den 1950er Jahren aus Polen über Israel migrierte: „Wir sollten, wir durften nicht in jedem Postboten, Bäcker, Straßenbahnfahrer einen möglichen Mörder unserer Großeltern vermuten.“
Viel später habe er erkannt, dass ihm sein Vater sehr wohl etwas mitgeteilt hatte, eine Art Vermächtnis gepackt in einen „kleinen und doch so großartigen, wundervollen Satz“, den er ihm mal als Mahnung, mal als Warnung, als Ratschlag oder auch als Tadel geschenkt habe: „Drei Worte nur in dem warmen Jiddisch, das ich so vermisse: Sej a Mensch, sei ein Mensch!“
Bas: Deutschland darf und wird nicht schweigen
Das Schweigen war für viele ein Weg, mit dem Erlebten umzugehen, sagte Bundestagspräsidentin Bas. Heute liege die Zeit des Nationalsozialismus oft wie ein Schatten über den Familien der Überlebenden. Gleichzeitig sei Judenhass in Deutschland keinesfalls nur ein Problem der Vergangenheit, mahnte Bas. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel seien hierzulande mehr als 2.000 antisemitische Straftaten begangen worden. „Dieser Ausbruch des Antisemitismus ist eine Schande für unser Land!“, so Bas. Dazu dürfe und werde Deutschland nicht schweigen.
„Es ist unsere Verpflichtung, das Gebot 'Nie wieder!' mit gleicher Stärke und Überzeugung weiterzugeben“, mahnte Bas eindringlich. Denn 'Nie wieder!', so die Bundestagspräsidentin, „war, ist und bleibt eine Aufgabe für unsere gesamte Gesellschaft“. (irs/31.01.2024)"
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