Verfassungsschutzbericht 2022 vorgestellt: Zahl der extremistischen Straftaten auf Höchststand
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Quelle: Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI)
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat am 20.06.2023 gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, in der Bundespressekonferenz in Berlin den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 vorgestellt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser: "Wir schützen unsere Demokratie gegen die aktuellen Bedrohungen von innen und von außen. Der verbrecherische russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Sicherheitslage in ganz Europa verändert. Wir haben starke Maßnahmen ergriffen, um uns gegen Spionage, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe zu wappnen.
Auch unsere harte Gangart gegen Islamisten setzen wir fort. Hier besteht weiter Grund zu höchster Wachsamkeit. Unsere Sicherheitsbehörden haben in diesem Jahr bereits zwei mögliche islamistische Anschläge in Castrop-Rauxel und in Hamburg verhindert.
Wir gehen mit voller Härte gegen Extremisten vor, die unsere Demokratie verachten und Menschen in unserem Land bedrohen. Der Verfassungsschutzbericht zeigt, dass Extremisten gewalttätiger und jünger werden und sich Ideologien zunehmend vermischen. Unsere entscheidenden Instrumente dagegen sind gut ausgestattete Sicherheitsbehörden, eine konsequente Strafverfolgung, politische Bildung und eine starke Zivilgesellschaft.
Der Rechtsextremismus ist weiterhin die größte extremistische Bedrohung in Deutschland. Besondere Sorge macht mir, dass Angriffe auf Geflüchtete wieder stark zugenommen haben. Es ist abscheulich, Menschen anzugreifen, die bei uns Schutz vor Krieg und Terror suchen.
Auch im Bereich des Linksextremismus sind die Hemmschwellen gesunken, politische Gegner, aber auch die Polizei mit großer Brutalität anzugreifen. Deshalb handeln wir auch hier so entschieden."
BfV-Präsident Thomas Haldenwang: "Der Verfassungsschutzbericht verdeutlicht erneut die Gefahren für die Innere Sicherheit in Deutschland: Spionage, Cyberoperationen und Einflussnahmeversuche ausländischer Nachrichtendienste sind hemmungsloser und ausgefeilter geworden. Extremisten nutzen Krisen, um in der bürgerlichen Mitte Anschluss zu finden und teilen dabei auch Verschwörungsmythen, Desinformation und Propaganda. Sorge bereitet, dass die Akteure immer
gewaltorientierter und zum Teil auch jünger werden. Viele sind weniger ideologisch festgelegt und basteln ihr Weltbild nach einem Baukastenprinzip mit Versatzstücken aus dem Internet zusammen. Wir stellen fest, dass Grenzen innerhalb von Phänomenbereichen verschwimmen und sich Mischszenen bilden. Auch wenn der Rechtsextremismus unverändert die größte Gefahr für unsere Demokratie darstellt, ist auch im islamistischen Terrorismus besondere Wachsamkeit geboten. Ein hohes Radikalisierungsniveau sehen wir ebenso im gewaltorientierten Linksextremismus. Als Frühwarnsystem haben wir diese Entwicklungen im Blick und treten ihnen entschieden entgegen."
Für das Jahr 2022 wurden insgesamt 35.452 Straftaten mit extremistischem Hintergrund ausgewiesen (2021: 33.476) – ein trauriger Höchststand. Davon waren 2.847 (2021: 2.994) Gewalttaten.
Die Bedrohung durch Spionage, illegitime Einflussnahme, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe hat sich, auch durch Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, weiter verschärft. Die Hauptakteure dieser gegen Deutschland gerichteten Aktivitäten sind mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten die Russische Föderation, die Volksrepublik China und die Islamische Republik Iran. Im Bereich der Desinformation werden Verbreitungskanäle im Bereich der sozialen Medien von staatlichen oder staatsnahen Akteuren verstärkt genutzt, um dort ihre Inhalte und Narrative an einen möglichst großen Personenkreis zu verbreiten. Geopolitische und geoökonomische Umbrüche bedeuten auch zunehmende Angriffsflächen und eine erhöhte Verwundbarkeit von Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Deutschland.
Im Rechtsextremismus ist das Personenpotenzial weiter angewachsen und liegt bei 38.800 (2021: 33.900). Auch der Anteil der gewaltbereiten Rechtsextremisten ist abermals auf nunmehr 14.000 (2021: 13.500) gestiegen. Wurden Anfang 2022 noch die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen von Rechtsextremisten instrumentalisiert, waren im Herbst und Winter die Folgen des russischen Überfalls auf die die Ukraine, wie hohe Inflation und eine drohende Energiekrise, Themenschwerpunkte ihrer Agitation. Nachdem dies in der breiten Bevölkerung nicht verfing, wurde das Thema Migration wieder verstärkt von Rechtsextremisten aufgegriffen.
Das Personenpotenzial der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist im Vergleich zum Vorjahr erneut um 2.000 Personen auf insgesamt 23.000 angewachsen. Das gewaltorientierte Personenpotenzial der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" liegt bei 2.300 Personen (2021: 2.100). Dieser Anstieg ist auch im Berichtsjahr 2022 noch ganz wesentlich auf die Proteste gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen zurückzuführen. Soweit "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine thematisieren, kommen überwiegend Narrative der russischen Staatspropaganda zum Tragen. Seit Oktober 2022 führt der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder einer mutmaßlichen terroristischen Vereinigung, in dessen Rahmen es bei einer ersten Durchsuchungswelle im Dezember 2022 zu zahlreichen Festnahmen kam.
Das linksextremistische Personenpotenzial ist im Jahr 2022 auf insgesamt 36.500 Personen gestiegen (2021: 34.700). Mehr als jeder vierte Linksextremist ist als gewaltorientiert einzuschätzen. Einzelne besonders erhebliche Angriffe, zahlreiche Körperverletzungen und die regelmäßig verursachten hohen Schadenssummen durch Brandstiftungen oder Sachbeschädigungen zeigen das unverändert hohe Gefahrenpotenzial durch Linksextremisten.
Im Vergleich zum Vorjahr ergibt sich im Bereich Islamismus/islamistischer Terrorismus ein leicht verringertes Personenpotenzial von 27.480 Personen (2021: 28.290). Dennoch ist das Bedrohungspotenzial durch den islamistischen Terrorismus nach wie vor hoch. Die salafistische Szene zeigt sich nach der Pandemie wieder aktiver. Insbesondere auch der Identifizierung sowie Aufklärung von Finanzaktivitäten islamistischer sowie extremistischer Einzelpersonen und Organisationen kommt eine besondere Bedeutung zu.
Das Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus belief sich im Jahr 2022 auf insgesamt 29.750 Personen (2021: 28.650) und ist somit im Vergleich zum Vorjahr um 3,8 % angestiegen. Die zahlenmäßig bedeutsamste Organisation in Deutschland ist weiterhin die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) mit 14.500 Anhängern. Die Straftaten mit einem auslandsbezogenen extremistischen Hintergrund haben das zweite Jahr in Folge zugenommen. Im Jahr 2022 fiel der Anstieg auf nunmehr 1.974 Delikte (2021: 776) besonders deutlich aus. Nahezu eine Verdopplung zeigt sich bei den Gewaltdelikten (226 Delikte; 2021: 116). Den größten Anteil an der Gesamtzahl der Straftaten haben die 1.229 Delikte, die 2022 in diesem Phänomenbereich in Deutschland im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erfasst worden sind.
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