Tafel Deutschland: Armut auf dramatischem Höchststand
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- Geflüchtete aus der Ukraine, Erwerbslose, Erwerbstätige mit geringem Einkommen sowie Rentnerinnen und Rentner sind besonders häufig auf Unterstützung angewiesen.
- 32 Prozent der Tafeln mussten bereits einen Aufnahmestopp einführen.
- Tafel Deutschland fordert gezielte Hilfen für armutsbetroffene Menschen und ruft zu Solidarität auf.
Immer mehr Menschen in Deutschland leben in Armut. Bei den Tafeln wird ihre schwierige finanzielle Lage dramatisch sichtbar: Die Zahl der Tafel-Kundinnen und -Kunden hat sich aufgrund von Inflation, Pandemie und Kriegsfolgen seit Jahresbeginn um etwa die Hälfte erhöht. Damit suchen deutlich über zwei Millionen armutsbetroffene Menschen Unterstützung bei der Ehrenamtsorganisation – so viele wie nie zuvor.
Aktuell verteilen beinahe alle Tafeln gespendete Lebensmittel an mehr Personen: 60,71 Prozent der Tafeln verzeichnen einen Zuwachs von bis zu 50 Prozent bei ihrer Kundschaft; 22,6 Prozent der Tafeln unterstützen bis zu doppelt so viele Menschen wie noch vor einem halben Jahr. Bei 7,59 Prozent hat sich die Zahl der Kundinnen und Kunden verdoppelt und bei 8,94 Prozent sogar mehr als verdoppelt.
Zu den neuen Kundinnen und Kunden zählen vor allem Geflüchtete aus der Ukraine, aber auch viele Erwerbslose mit Bezug von Arbeitslosengeld I oder II, Erwerbstätige mit geringem Einkommen sowie Rentnerinnen und Rentner.
„Tafeln sind am Limit und berichten uns, dass viele Menschen zu ihnen kommen, die bisher gerade so über die Runden gekommen sind und zum ersten Mal Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Sie erzählen aber auch von ehemaligen Kundinnen und Kunden, deren Situation sich wieder verschlechtert hat und die nun erneut Unterstützung brauchen“, sagt Jochen Brühl, Vorsitzender Tafel Deutschland e.V. „Armut macht keine Sommerpause, Armut lässt sich nicht vertrösten. Wir sehen deutlich, dass es den Menschen jetzt am Nötigsten fehlt und rufen weiterhin zu Spenden für die Tafeln auf.“
Aufnahmestopp bei knapp einem Drittel der Tafeln
Die Nachfrage liegt noch höher. 32 Prozent der Tafeln mussten bereits einen Aufnahmestopp einführen; viele zum ersten Mal in ihrer Geschichte. Ihnen fehlen Lebensmittel und/oder Ehrenamtliche, um allen zu helfen, die nach Unterstützung fragen.
Rund 62 Prozent der Tafeln verteilen momentan kleinere Mengen an jeden Haushalt, um möglichst vielen Menschen Lebensmittel mitgeben zu können. 17 Prozent haben die Abholhäufigkeit reduziert, sodass Kundinnen und Kunden beispielsweise nur noch alle zwei Wochen statt jede Woche zur Lebensmittelausgabe kommen können.
„Die Situation belastet unsere Helferinnen und Helfer stark, denn mehr Kundinnen und Kunden bedeuten längere Ausgabezeiten und einen höheren Aufwand. Viele sind erschöpft“, sagt Sirkka Jendis, Geschäftsführerin Tafel Deutschland e.V. „Auch der psychische Druck wächst. Tafel-Aktive engagieren sich, weil sie etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun und armutsbetroffene Menschen solidarisch unterstützen möchten. Zu sehen, dass Hilfen nicht ausreichen und dass von den eigentlich verantwortlichen Stellen die nötige Unterstützung für Menschen in Armut fehlt, ist kaum zu ertragen. Immer mehr Tafeln fragen sich: Wie lange schaffen wir das noch?“
Dazu kommt, dass Sozialämter und Behörden in vielen Städten Geflüchtete weiterhin ohne Rücksprache an die Tafeln verweisen. Besonders bei vielen Menschen aus der Ukraine entstand dadurch fälschlicherweise der Eindruck, dass Tafeln ein staatliches Angebot
sind, auf das ein Anspruch besteht. Als gemeinnützige, ehrenamtliche Organisationen bieten Tafeln jedoch Lebensmittel, die Einkäufe ergänzen.
„Es ist verantwortungslos, wenn Behörden Menschen zu einer Tafel schicken, ohne sich überhaupt zu erkundigen, ob die Tafel neue Kundinnen und Kunden aufnehmen kann“, erklärt der Vorsitzende Jochen Brühl. „Wir helfen, so viel wir können, aber bleiben ein Zusatzangebot. Dass alle Menschen in Deutschland genug zu essen und zu trinken haben, muss der Staat gewährleisten, nicht das Ehrenamt.“
Armut erreicht trauriges Rekordhoch
Laut Paritätischem Armutsbericht 2022 hat die Armutsquote im vergangenen Jahr einen traurigen Höchststand von 16,6 Prozent erreicht. Die Folgen der Inflation und des Krieges sind dabei noch nicht berücksichtigt, die Not ist seitdem größer geworden. Tafeln rechnen aktuell nicht damit, dass sich die Lage entspannt. Im Gegenteil: Die steigenden Preise und anstehenden Nachzahlungen von Energiekosten werden noch mehr Menschen finanziell belasten.
Tafel Deutschland fordert armutsfeste Regelsätze
Tafel Deutschland fordert deshalb von der Bundesregierung dringend ein neues Hilfspaket. Die bisherigen Hilfen verfehlten mehrheitlich diejenigen, die sie am dringendsten benötigen. Nach Angaben des Paritätischen Gesamtverbands kamen von den 29 Milliarden Euro aus dem Entlastungspaket der Bundesregierung nur zwei Milliarden Euro bei armutsbetroffenen Menschen an. Jochen Brühl erklärt: „Schluss mit der Gießkanne, die Regierung muss Soforthilfen beschließen, die Armutsbetroffene gezielt erreichen. Wir fordern zudem für das angekündigte Bürgergeld armutsfeste Regelsätze von mindestens 678 Euro.“
„Jeder sechste Mensch in Deutschland lebt in Armut. Das können wir als Gesellschaft nicht länger hinnehmen“, so Geschäftsführerin Sirkka Jendis. „Wir sind dankbar für den unermüdlichen Einsatz unserer 60.000 Tafel-Aktiven und wünschen uns Solidarität für armutsbetroffene Menschen von der breiten Mehrheit.“
Hinweis
Die Zahlen basieren auf einer Umfrage, die die Tafel Deutschland im Juni und Juli 2022 unter ihren 962 Mitglieds-Tafeln durchgeführt hat. 603 Tafeln haben sich an der Umfrage beteiligt.
www.praeventionstag.de
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