Covid-19-Infektion vor allem von Sozialstatus abhängig
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Der soziale Status und migrationsbezogene Faktoren wirken unabhängig auf die Verbreitung von Corona-Infektionen. Das zeigt eine am 13.06.2022 veröffentlichte Studie zur regionalen Verteilung der gemeldeten Infektionen über die ersten drei Wellen der Pandemie. „Im Verlauf der Pandemie hat der soziale Status als Faktor für das Infektionsgeschehen an Bedeutung gewonnen“, sagt der Epidemiologe Professor Dr. med. Kayvan Bozorgmehr von der Universität Bielefeld. Um die Bedeutung des sozialen Status zu ermitteln, hat das Studienteam um Bozorgmehr sozioökonomische Merkmale wie Bildung, Beschäftigungsstatus und Einkommen mit den Infektionen auf Stadt- und Landkreisebene in Verbindung gebracht. Die Studie ist im Fachjournal Lancet eClinicalMedicine erschienen. Die Forschung ist Teil der StopptCOVID-Studie, einem Kooperationsprojekt der Universität Bielefeld und des Robert Koch Instituts, gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit.
Die Forschenden analysierten die Entwicklung in 401 Landkreisen in Deutschland in einem Zeitraum von 72 Wochen. Das Hauptergebnis der Studie: Sozioökonomische und migrationsbedingte Merkmale beeinflussen das Infektionsgeschehen in Landkreisen in Deutschland unabhängig voneinander. „Ein Mehrwert unserer Studie liegt darin, dass wir beide Faktoren zusammen analysiert haben“, sagt Bozorgmehr. „Die Faktoren wurden bislang meist getrennt voneinander betrachtet.“
In der ersten Welle der Pandemie waren Menschen in wohlhabenderen Landkreisen, in denen ein höherer Sozialstatus dominiert, einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt – zum Beispiel durch Reiserückkehrer*innen. Das war zuvor bereits aus anderen Erhebungen bekannt. Die jetzt veröffentlichte Studie zeigt, dass sich dieses Muster in der zweiten und dritten Welle änderte: Nun waren hauptsächlich Menschen in sozial benachteiligten Regionen stärker gefährdet, sich zu infizieren. Das Risiko in sozial benachteiligten Regionen nahm über die Wellen hinweg zu.
Studie zeigt Verbindung von sozialer Ungleichheit und Infektionsrisiko
In der Studie haben die Forschenden den German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD, Deutscher Index sozioökonomischer Deprivation) verwendet. Deprivation bezieht sich auf einen Mangel an Chancengleichheit. Der Index verzeichnet, in welchen deutschen Regionen soziale Ungleichheit stärker und weniger stark vertreten ist. Der Index wurde am Robert Koch Institut entwickelt und umfasst darüber hinaus auch Informationen zu den einzelnen Dimensionen Bildung, Beschäftigungsstatus und Einkommen.
Das Studienteam setzte den Deprivationsindex und dessen einzelne Dimensionen in Beziehung zur Covid-19-Inzidenz in den Stadt- und Landkreisen. Dafür nutzte das Team räumlich-epidemiologische statistische Verfahren. Im Ergebnis zeigt sich: Bei Landkreisen mit einem hohen Anteil von Menschen mit niedriger Bildung oder mit niedrigem Einkommen sind diese einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt. In Landkreisen mit einem höheren Beschäftigungsanteil gibt es hingegen ein umgekehrtes Muster: Hier geht der höhere Beschäftigungsanteil mit einem höherem Inzidenzrisiko einher. Laut Bozorgmehr deute dies auf die große Rolle arbeitsplatzbedingter Faktoren bei der Pandemiekontrolle hin.
Studienteam hat umfangreiche Datenbasis ausgewertet
Für die Studie haben die Forschenden neben dem Deprivationsindex weitere Datensätze miteinander verbunden. Dazu zählen die an das Robert Koch Institut (RKI) gemeldeten Infektionszahlen aus den Stadt- und Landkreisen, Populationsdaten (Anzahl der Einwohner*innen sowie der ausländischen Bevölkerung, jeweils nach Alter und Geschlecht), Informationen zur Siedlungsstruktur und Daten zu Impfungen des RKIs.
Das Studienteam leitet aus den Befunden Empfehlungen für Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 ab: „Ganz grundlegend müssen die Politik und Behörden berücksichtigen, wie sozioökonomische Faktoren bei der Ausbreitung wirken. Nur so können Bevölkerungsgruppen gezielt adressiert werden, um die Pandemie zu bekämpfen“, sagt Bozorgmehr. In sozial benachteiligten Stadt- oder Landkreisen könne mit maßgeschneiderten Maßnahmen gearbeitet werden, zum Beispiel mit angepassten Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen. „Außerdem muss das niedrige Einkommen berücksichtigt werden, wenn es um Schutzmaßnahmen geht“, so Bozorgmehr. „Deswegen ist es sinnvoll, in Stadtteilen mit geringem Einkommen kostenlose Tests oder auch kostenlose Masken zur Verfügung zu stellen.“
Ein Fazit: Schon in frühen Phasen von Epidemien mehrsprachige Maßnahmen nutzen
„Man sollte die Diversität in der Gesellschaft mehr berücksichtigen“, so der Gesundheitswissenschaftler. „Insbesondere in frühen Phasen einer Pandemie muss man auf migrationsbedingte Faktoren vorbereitet sein, damit mehrsprachige und zielgruppengerechte Maßnahmen etabliert werden können.“ Er wirft aber auch ein, dass das verwendete Maß des „Anteils der Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit“ sehr ungenau sei und es sich lediglich um eine Annäherung an migrationsbedingte Faktoren in Stadt- und Landkreisen handle. Denn zu dieser Gruppe zählen von Personen aus EU-Nachbarländern über Wissenschaftler*innen aus anderen Ländern bis hin zu Geflüchteten alle, die einen Nicht-Deutschen-Pass besitzen. Es sei daher nicht zulässig, basierend auf den Ergebnissen der Studie ein höheres Infektionsrisiko für einzelne Gruppen abzuleiten.
Die aktuelle Veröffentlichung ist nur ein Teil der StopptCOVID-Studie. Im nächsten Schritt analysieren die Wissenschaftler*innen in dem Projekt, wie wirksam die Pandemiemaßnahmen in den Stadt- und Landkreisen waren. In diese Erhebung werden dann auch Daten der vierten Pandemiewelle einfließen.
www.praeventionstag.de
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