13.09.2022
Ermüdete Normalisierung – Wie erleben Kinder und Jugendliche die Corona-Pandemie?
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„Kinder tragen“ – so formuliert es eine Studie des Hilfswerks World Vision – die „Hauptlast der Corona-Maßnahmen“ (2021). Diese Maßnahmen hatten nicht nur den Wegfall von Präsenzunterricht zu Folge, sondern bedeuteten tiefgreifende Eingriffe in kindliche Sozialisationsprozesse. Umso bemerkenswerter ist es, dass im bisherigen politischen wie wissenschaftlichen Diskurs gerade die Perspektiven von jüngeren Kindern und ihren Familien wenig Berücksichtigung fanden. Diese Lücke schließt der gerade bei Springer erschiene erziehungswissenschaftliche Sammelband „Schule in Distanz – Kindheit in Krise.“
Die in neun Aufsätzen publizierten Forschungsergebnisse um die Themengebiete „Transformationen von Kindheit, Jugend und Familie“, „Transformationen des schulischen Lernens“ und „Transformationen von Ungleichheiten“ zeigen auf, wie Kinder, Jugendliche und ihre Familien die Zeit der Corona-Pandemie aus ihrer eigenen Sicht erlebt haben.
Jürgen Budde, Professor für Theorie der Bildung, des Lehrens und Lernens, an der Europa-Universität Flensburg, ist einer der sieben Herausgeber. Er fasst seine Beobachtungen in dem Begriff „Ermüdete Normalisierung“ zusammen: „Die als Stillstand wahrgenommenen gesamtgesellschaftlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie und insbesondere die Schulen auf Distanz gehen einher mit einer Verlangsamung und Ermüdung. Die Welt, zu der sich die Kinder in Beziehung setzen, wird kleiner und damit werden aus bildungstheoretischer Perspektive auch die Bildungsanlässe seltener, wohingegen die Erziehungsanlässe zunehmen. Dahinter steht die These, dass es sich um eine Normalisierung auf ein subjektiv (erträgliches), als ‚normal‘ empfundenes und anregungsarmes Niveau handelt, welches – so die weiteren Überlegungen – insgesamt eine gesamtgesellschaftliche Ermüdung reflektiert.“
Die Forschungsergebnisse, so Budde, zeigen ein insgesamt großes Bestreben in den Familien, eine wie auch immer geartete Normalität aufrecht zu erhalten. Durch den Wegfall der Schule als Ort der Präsenz (nicht aber der Anforderungen) wird die Verantwortung für Bildung und Erziehung an die Familien abgegeben. Dies bemühen sich – so zeigen die Studien – in aller Regel darum, einen ‚normalen Alltag‘ zu ermöglichen. Dies geht Zulasten der Kinder und Jugendlichen, deren Erfahrungswelten und Wohlbefinden – und damit die Möglichkeit, sich mit der Welt auseinanderzusetzen – erheblich eingeschränkt wurden. Die Normalität sei in ‚unnormalen‘ Zeiten eine anstrengende Konstruktionsleistung und keine vermeintliche Selbstverständlichkeit, so Budde.
Die Möglichkeiten zur Konstruktion eines ‚normalen Alltag‘ sind, so Budde, dabei höchst ungleich verteilt. Während Mittelschichtsfamilien sehr viel Zeit, Geld und Bildung investieren können, haben Familien aus ökonomisch schlechter gestellten Familien diese Möglichkeit nicht. Diese Schere habe sich im Verlauf der Pandemie noch vergrößert. Dennoch seien auch Mittelschichtsfamilien von den Folgen der Maßnahmen deutlich getroffen.
„Gerade in Mittelschichtsfamilien zeigt sich ein Bedeutungsverlust von Schule, nach den zwei Jahren Distanzunterricht ist Schule ‚fragwürdig‘ geworden und tendenziell entwertet worden. Schule hat aus Sicht vieler Eltern ihre Funktionen kaum erfüllt und war aus Sicht der Kinder während der pandemiebedingten Maßnahmen weitgehend irrelevant (außer durch Schulaufgaben die es zu erfüllen galt, für die es aber nur selten Feedback gab).“
Einige Mittelschichtseltern, so Budde, sehen diesen Wegfall der Schule positiv, da sie mehr Zeit mit den Kindern verbringen können, für die meisten allerdings sind die Auswirkungen beunruhigend und gravierend und stellen einen tiefen Vertrauensverlust in eine gewohnte staatliche Institution dar.
„Schule in Distanz – Kindheit in der Krise“. Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf Wohlbefinden und Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen. Herausgegeben von: Jürgen Budde, Drorit Lengyel, Caroline Böning, Carolina Claus, Nora Weuster, Katharina Doden, Tobias Schroedler. Erschienen im Springer Verlag, August 2022.
Die in neun Aufsätzen publizierten Forschungsergebnisse um die Themengebiete „Transformationen von Kindheit, Jugend und Familie“, „Transformationen des schulischen Lernens“ und „Transformationen von Ungleichheiten“ zeigen auf, wie Kinder, Jugendliche und ihre Familien die Zeit der Corona-Pandemie aus ihrer eigenen Sicht erlebt haben.
Jürgen Budde, Professor für Theorie der Bildung, des Lehrens und Lernens, an der Europa-Universität Flensburg, ist einer der sieben Herausgeber. Er fasst seine Beobachtungen in dem Begriff „Ermüdete Normalisierung“ zusammen: „Die als Stillstand wahrgenommenen gesamtgesellschaftlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie und insbesondere die Schulen auf Distanz gehen einher mit einer Verlangsamung und Ermüdung. Die Welt, zu der sich die Kinder in Beziehung setzen, wird kleiner und damit werden aus bildungstheoretischer Perspektive auch die Bildungsanlässe seltener, wohingegen die Erziehungsanlässe zunehmen. Dahinter steht die These, dass es sich um eine Normalisierung auf ein subjektiv (erträgliches), als ‚normal‘ empfundenes und anregungsarmes Niveau handelt, welches – so die weiteren Überlegungen – insgesamt eine gesamtgesellschaftliche Ermüdung reflektiert.“
Die Forschungsergebnisse, so Budde, zeigen ein insgesamt großes Bestreben in den Familien, eine wie auch immer geartete Normalität aufrecht zu erhalten. Durch den Wegfall der Schule als Ort der Präsenz (nicht aber der Anforderungen) wird die Verantwortung für Bildung und Erziehung an die Familien abgegeben. Dies bemühen sich – so zeigen die Studien – in aller Regel darum, einen ‚normalen Alltag‘ zu ermöglichen. Dies geht Zulasten der Kinder und Jugendlichen, deren Erfahrungswelten und Wohlbefinden – und damit die Möglichkeit, sich mit der Welt auseinanderzusetzen – erheblich eingeschränkt wurden. Die Normalität sei in ‚unnormalen‘ Zeiten eine anstrengende Konstruktionsleistung und keine vermeintliche Selbstverständlichkeit, so Budde.
Die Möglichkeiten zur Konstruktion eines ‚normalen Alltag‘ sind, so Budde, dabei höchst ungleich verteilt. Während Mittelschichtsfamilien sehr viel Zeit, Geld und Bildung investieren können, haben Familien aus ökonomisch schlechter gestellten Familien diese Möglichkeit nicht. Diese Schere habe sich im Verlauf der Pandemie noch vergrößert. Dennoch seien auch Mittelschichtsfamilien von den Folgen der Maßnahmen deutlich getroffen.
„Gerade in Mittelschichtsfamilien zeigt sich ein Bedeutungsverlust von Schule, nach den zwei Jahren Distanzunterricht ist Schule ‚fragwürdig‘ geworden und tendenziell entwertet worden. Schule hat aus Sicht vieler Eltern ihre Funktionen kaum erfüllt und war aus Sicht der Kinder während der pandemiebedingten Maßnahmen weitgehend irrelevant (außer durch Schulaufgaben die es zu erfüllen galt, für die es aber nur selten Feedback gab).“
Einige Mittelschichtseltern, so Budde, sehen diesen Wegfall der Schule positiv, da sie mehr Zeit mit den Kindern verbringen können, für die meisten allerdings sind die Auswirkungen beunruhigend und gravierend und stellen einen tiefen Vertrauensverlust in eine gewohnte staatliche Institution dar.
„Schule in Distanz – Kindheit in der Krise“. Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf Wohlbefinden und Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen. Herausgegeben von: Jürgen Budde, Drorit Lengyel, Caroline Böning, Carolina Claus, Nora Weuster, Katharina Doden, Tobias Schroedler. Erschienen im Springer Verlag, August 2022.
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